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Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Odo und Lupus 04 - Die Witwe

Titel: Odo und Lupus 04 - Die Witwe
Autoren: Robert Gordian
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Man hat meinen armen Bruder umgebracht.“
    Er senkte den Kopf und seufzte abermals. Mit einem raschen Blick seiner flinken Augen, von unten herauf, schien er die Wirkung dieser Worte zu prüfen.
    „Umgebracht?“ fragte Odo. „Hier oben? In Euerm Rabennest?“
    „Nicht hier. Auf einem Heereszug nach Sachsen.“
    „So ist er gefallen. Ich habe gehört, es hätte in diesem Jahr überhaupt keine Kämpfe gegeben.“
    „Das ist richtig. Er wurde auch nicht von einem Sachsen, sondern von einem Thüring erschlagen. Auf einem Erkundungsgang.“
    Odo und ich tauschten einen Blick.
    „Und dafür gibt es Zeugen?“ fragte ich.
    „Es gibt einen.“
    „Und habt Ihr gegen den Täter geklagt?“
    „Bei wem?“ Herr Garibald lächelte bitter. „Der Mörder gehört zu Rotharis Gefolge. Aber der Graf, wie Ihr ihn zu nennen beliebt, hält keine Gerichtsversammlungen ab. An wen soll man sich wenden mit seiner Klage? Wir sind ja keine Barbaren mehr, wollen nicht Blut mit Blut vergelten. Aber das Wergeld {6} steht uns zu … mir und den beiden Waisen, dem Hug und dem Allard. Wo soll man es herbekommen? Wer schafft Gerechtigkeit? Aber ich will Euch nicht mit unseren Mißständen langweilen. Das interessiert Euch nicht, Ihr seid Reisende. Außerdem noch Rotharis Gastfreunde. Ich will mich nicht über ihn beschweren, habe auch sonst keinen Grund dazu. Wir stehen gewöhnlich recht gut miteinander, wollen sogar unsere Kinder verheiraten. Genug davon! Ihr seid hungrig und durstig. Höchste Zeit, daß ich Euch den Willkommenstrunk biete. Tretet ins Haus ein!“
    Wir hatten den Fuß noch nicht auf die Treppe gesetzt, als wir auf einmal hinter uns einen gellenden Schrei hörten. Er kam von der anderen Seite des Palisadenzauns. Wir wandten die Köpfe und sahen gleich darauf eine junge Magd, die fast völlig nackt war. Sie rannte durch das offene Tor direkt auf uns zu.
    „Frau Bathilda! Helft!“ schrie sie. „Helft mir! Er schlägt mich! Er wird mich umbringen!“
    Ein junger Kerl mit verwildertem Haar und Bart, fettleibig und auf dünnen Beinen, bekleidet nur mit einer Hose, die aber von einem silberglänzenden Gürtel gehalten wurde, stürzte hinter dem Mädchen her. Er erwischte sie an den Fetzen ihres zerrissenen Hemdes und brüllte:
    „Gib mir den Ring zurück, du Hure!“
    „Laßt mich los, Herr Allard! Ich habe ihn nicht!“
    „Ich werde dich so lange prügeln, bis du ihn hergibst!“
    Er griff in das dichte Haar des Mädchens und zwang sie vor sich auf die Knie. Hug und sein Haufen johlten Beifall.
    „Herr Garibald! Helft! Seid barmherzig!“ rief die Magd in fließendem Diutisk, wenn auch mit sorbischer Betonung. „Ich habe seinen Ring nicht gestohlen! Er hat ihn gestern der Tungla geschenkt und gesagt, daß sie jetzt seine Kebse {7} ist!“
    „Du lügst!“ schrie der Bursche und schlug sie.
    „Ihr wart zu betrunken, Ihr wißt es nicht mehr!“ heulte das Mädchen.
    „Laß sie gehen!“ rief Garibald. Er trat rasch auf die beiden zu, packte den Burschen am Arm und stieß ihn beiseite.
    „Und du, steh auf!“ schrie er das Mädchen an. „Pack dich! Verschwinde, schamloses Weibsbild! Wir werden noch feststellen, wer gestohlen hat. Schuld seid ihr selbst, ihr verfluchten Huren, weil ihr ständig um ihn herumstreicht und alles herzeigt und ihm Augen macht!“
    Unter dem Hohngelächter der jungen Männer machte die Magd sich davon. Bevor sie aber hinter dem Zaun verschwand, drehte sie sich noch einmal um und schrie etwas in ihrer sorbischen Sprache, das wie eine Verwünschung klang. Einer der Burschen warf einen Stein nach ihr, verfehlte sie aber.
    „Mein älterer Neffe Allard“, sagte Herr Garibald, der zu uns zurückkehrte. „Er erlaubt sich ab und zu einen Spaß mit den Mägden. Ich war in seinem Alter nicht anders … Ihr wohl auch nicht, Herr Odo. Das wird sich ändern, wenn er erst einmal verheiratet ist. Er ist mit Rotharis Tochter verlobt, der Eddila.“
    Inzwischen war Allard herangeschlendert. Später erfuhr ich, daß er erst zwanzig Jahre alt war. Man mußte ihn für älter halten, denn sein Gesicht war verquollen, bläuliche Ringe umgaben die Augen, und die Nase, auch sie nach Art der Rabennestleute gen Himmel gestülpt, war purpurfarben. Zweifellos war dieser junge Herr ein Sklave, nämlich der Trunksucht, die man in dieser Gegend recht häufig antrifft. Hier gibt es viele würdige Nachkommen unserer Vorfahren, der Germanen, von denen ja schon der römische Schriftsteller Tacitus sagte, man brauche
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