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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition)
Autoren: Herman Koch
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belegt war.
    Biervoort biss einmal schnell hinein. All seine Bewegungen hatten etwas Verstohlenes. Aus der Ferne erinnerte er an ein Tier, das etwas aus einem Mülleimer stiehlt.
    Krümel klebten in seinen Mundwinkeln. Ich dachte an die Hände, die das Butterbrot geschmiert hatten, wahrscheinlich an diesem Morgen; dieselben Hände, die im Dunkel die bleichen Arschbacken des Französischlehrers geknetet und durch den Stoff seines Pyjamas an seinem halb steifen Pimmel gezogen hatten, schmierten bei Tageslicht die Butterbrote und belegten sie mit Käsescheiben.
    Ich sah Max an, aber der schien sein Interesse an Biervoort verloren zu haben. Er strich mit der Zunge am Klebestreifen der Blättchen entlang und rollte das Ganze sorgfältig zusammen. »Vielleicht wäre es mal an der Zeit für eine kleine Pause«, sagte er.
    Ich wollte ihn eigentlich fragen, wie es mit Biervoort und seiner Frau weiterging. Was passierte, nachdem sie ihn angestachelt hatte, alles strömen zu lassen. Aber etwas sagte mir, dass ich jetzt keine Antwort bekommen würde, dass ich auf eine passende Gelegenheit warten musste.
    Wir standen auf und gingen aus dem Klassenzimmer; an der Tür sah ich mich noch einmal um. Die gelbe Butterbrotdose stand nicht mehr auf dem Tisch, und auch die Krümel in Biervoorts Mundwinkeln waren verschwunden.

4
    Es ist inzwischen weit nach Mitternacht. Im Garten hängen diese hartnäckigen Tiergerüche, wie so häufig in schwülen Sommernächten wie dieser. Ich habe den Liegestuhl mitten auf den Rasen gestellt. Hinten aus der Küchenschublade habe ich mir die zerknitterte Schachtel Marlboro geangelt. Sie lag noch genau an der Stelle, an der sie liegen sollte. Nicht gleich für jeden sichtbar, aber auch nicht wirklich versteckt. For emergency use only, wie bei einer Scheibe, die man einschlagen muss, um einen Notausgang zu öffnen.
    Die Tiergerüche stammen noch von der vorherigen Bewohnerin, das heißt, von ihrer Art der Tierhaltung. Als sie später krank wurde, vermischten sich dann die animalischen und menschlichen Gerüche. In dieser Zeit ließ sie auch immer öfter den Hund im Garten scheißen.
    Wir hatten damals nur das Stockwerk über ihr. Vom Balkon aus sah ich Frau de Bilde regelmäßig mit einer Harke herumfuhrwerken. Statt den Kot zu entsorgen, schob sie ihn mehr schlecht als recht außer Sichtweite. Der Hund war der gefleckte Vertreter einer mir unbekannten Rasse und eigentlich zu groß, um nur im Garten ausgeführt zu werden. Zuerst scharrte er minutenlang zwischen den Pflanzen herum, wahrscheinlich auf der Suche nach einer Stelle, wo er sich selbst nicht riechen konnte. Wenn er sich schließlich,fast beschämt, auf die Hinterbeine hockte, kreuzten sich manchmal unsere Blicke. Ich konnte mich nie des Eindrucks erwehren, dass der Blick, den er mir zuwarf, ein stummer Hilfeschrei war. Als würde er sich etwas von dem Mann erhoffen, der ihn vom Balkon des ersten Stocks schweigend beobachtete: Ich solle etwas unternehmen, damit alles wieder so werde wie früher, ich solle zumindest eingreifen und dem erniedrigenden Scheißen im Garten ein Ende bereiten.
    Als wir das Haus 1995 kauften, waren nur die beiden oberen Stockwerke frei. Die schönste Etage – das Erdgeschoss mit einem hundertdreißig Quadratmeter großen Garten – war vermietet. An eine alte Frau, »die in absehbarer Zeit einsehen wird, welche Vorteile ein Pflegeheim bietet«, wie sich der Makler ausdrückte.
    Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen: Es war Anfang März, als wir zum ersten Mal durch das Haus geführt wurden. Vom Balkon im ersten Stock schaute ich auf den Garten hinunter. Gärten hatten mich bisher nicht sonderlich interessiert, die Beschäftigung mit Blumen und Pflanzen war mir geradezu ein Gräuel, und zwar so sehr, dass sich vorübergehend meiner Obhut anvertraute Blumen und Pflanzen schon nach wenigen Tagen zu verfärben begannen und fast alle ihre Blätter verloren.
    Aber dieser Garten war ziemlich verwildert, das Gras spross reichlich, dazwischen waren Blumen, deren Namen ich nicht kannte und die man normalerweise nur auf den Deichen entlang der großen Flüsse antrifft oder auf dem Mittelstreifen der Autobahn. In der Mitte war ein überwucherter kleiner Teich voll Entengrütze, an dessen Ufer auf einem rustikalen Baumstamm ein Vogelhaus stand, in dem Dutzende von Vögeln flatterten und zwitscherten, dass es eine Art hatte.
    »Ich weiß nicht, ob Sie Frösche mögen«, hatte der Makler gefragt.

    »Frösche?«
    »Ich habe mir
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