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Odessa Star: Roman (German Edition)

Odessa Star: Roman (German Edition)

Titel: Odessa Star: Roman (German Edition)
Autoren: Herman Koch
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jemanden reingehen sehen.
    »Das ist seine Frau?«, fragte ich. Ich gab Max drei Blättchen.
    »Frau ist ein großes Wort. Aber jeder Mann muss doch was zu Hause haben, das kocht und das Geschirr spült.«
    Ich versuchte mich an das Gesicht von Frau Biervoort zu erinnern; durch das kurze graue Haar und die Menge an Zähnen und Zahnfleisch, die sie entblößte, wenn sie den Mund aufmachte, hatte sie etwas von einem Nagetier, das tief im Wald wohnt. Ein Biberweibchen zum Beispiel, eine Metze, die nach dem Krieg kahl geschoren wurde, weil sie mit den falschen Tieren im Wald herumgehurt hatte. Außerdem standen ihre Augen leicht nach außen, was ihrem Gesicht einen stets fragenden und erstaunten Ausdruck verlieh, als wäre sie jedes Mal überrascht über die vielen Bäume, die sie an einem einzigen Tag umgenagt hatte.
    Ich sah zu Biervoort hin und stellte mir vor, wie er und die kleine Frau mit dem grauen Igelkopf sich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf dem Erasmus-Gymnasium um sechs Uhr abends am Esstisch gegenübersaßen. Draußen war es dunkel. Von der Decke hing eine Lampe mit einer Fünfundzwanzig-Watt-Birne. Zwischen ihnen stand ein Topf, aber es war nicht zu erkennen, was es zu essen gab.
    »Du musst dir vorstellen, wie es da abends zugeht«, sagte Max. »Wenn sie ins Bett gehen.«
    »Sie haben erst Kartoffeln gegessen«, sagte ich. »Mit ganz ekligem Fleisch.«
    »Ja, zum Beispiel. Sie haben beide schon ein bisschen Sodbrennen, wenn sie sich hinlegen. Jedenfalls er. Er hat einen gestreiften Pyjama an. Einen braun gestreiften Pyjama, und er setzt sich auf die Bettkante, um den Wecker zu stellen. Dann schlüpft er aus den Pantoffeln. Solche braunenPantoffeln aus Kunstleder, die noch ein paar Sekunden an den Fußsohlen kleben bleiben.«
    Ich sah zu Biervoort hin. Es kostete mich Mühe, nicht in Lachen auszubrechen; an der Wandtafel hinter seinem Kopf stand mit Kreide Elle n’a pas dormi(e?).
    »Dann setzt er die Brille ab und legt sie auf den Nachttisch«, sagte Max; er hatte die drei Blättchen aneinandergeklebt und bröselte Tabak drauf. Ich hatte Biervoort nur ein einziges Mal die Brille abnehmen sehen. Er hatte sich mit Daumen und Zeigefinger lange die Nasenwurzel gerieben. Die Stege des Gestells hatten tiefe Dellen in der Haut hinterlassen, erinnerte ich mich, als würde er die Brille auch nachts tragen.
    Max holte das Samtbeutelchen, das ich schon vorher in der Toilette gesehen hatte, aus der Innentasche seines Sakkos; mit den Zähnen zog er die Schnur auf.
    »Dann dreht er sich auf die Seite«, sagte er. »Wahrscheinlich entfährt seinen bleichen Arschbacken bei diesem Manöver schon ein erster feuchter Furz. Einer, der in den ersten Stunden nicht mehr unter der Bettdecke wegkommen kann. Der sich auf das Betttuch niederschlägt, daran anpappt. Biervoort lässt kurz die nagellosen Finger einer Hand hinten in seine Pyjamahose gleiten, um zu fühlen, ob es wirklich nur Luft war, was entwich. Er fühlt etwas Nasses. Aber es ist die gewöhnliche Nässe von immer.«
    »Ja«, sagte ich. »Es ist da immer ein bisschen feucht, wenn man den ganzen Tag sitzt.«
    »So oder so ähnlich. Er schnuppert an seinen Fingern. Er hat Lust, an seinen gänzlich abgenagten Nägeln zu knabbern. Es ist eine Versuchung, der nur schwer zu widerstehen ist. Er begutachtet seine kaum noch als solche erkennbaren Nägel wie ein Kind eine Kuchenplatte, auf der Krümel und Schlagsahnereste zurückgeblieben sind. Aber dann sieht er das graue Haar seiner Frau. Es ähnelt dem einer Wildsau oder eher noch den harten Borsten einer Spülbürste, die längst ausgedient hat, aber von solchen Nebensächlichkeiten lässt er sich nicht ablenken. In seiner Pyjamahose fühlt er seinen dünnen, bleichen Schwanz steif werden. Er lässt noch einen Furz, aber dabei kneift er die Arschbacken so fest zusammen, dass der Wind fast geräuschlos entweicht. Seine Finger wühlen nun zärtlich in ihrem Borstenhaar, während er mit dem Unterleib näher an sie heranrückt.«
    Ich sah Max von der Seite an. Aber Max hielt seinen Blick geradeaus auf Biervoort gerichtet, während er den Inhalt des Säckchens gleichmäßig über den Tabak verteilte.
    »Sie fängt jetzt an, leise zu knurren, und lässt die Hand unter die Bettdecke gleiten. Durch den Stoff der Pyjamahose kneift sie in seinen harten Pimmel. Mit denselben Fingern, mit denen sie in der Schulbibliothek im Zettelkasten blättert auf der Suche nach Büchern, die niemand lesen will, wichst sie ihn jetzt durch
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