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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Autoren: Batya Gur
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die mit dem Peugeot, die Arztfrau?« Schorer hatte zur Seite geschaut.
    »Fast achtzehn, abgesehen ...«
    »Also achtzehn Jahre lang allein«, hatte Schorer ihn unterbrochen und erneut Awigail ins Spiel gebracht.
    Wegen dieser Gespräche hatte Michael die Telefonleitung unterbrochen. Sie fanden bevorzugt am Sabbatausgang und an den Feiertagen an der Autotür statt, wenn Michael schon im Begriff war, in seine Wohnung zurückzufahren. Immer mehr hatten sich die anderen in letzter Zeit in seine Privatangelegenheiten eingemischt.
    Auch der Tonfall der Sympathie und der Sorge, der vor den Feiertagen in den Bemerkungen all seiner Kollegen lag, war ein Grund gewesen. Selbst in den Stimmen von Zila und Eli, deren Karrieren unter seiner Regie begonnen hatten, hatte er ihn wahrgenommen. Nach und nach waren sie zu seinen engsten Freunden geworden, die stets darauf ach teten, ihm mit einem gewissen Respekt zu begegnen, und die seinen Wunsch nach Privatsphäre akzeptierten.
    Die Erkenntnis, daß er jedenfalls in eine familiäre Atmosphäre eindringen würde, hielt ihn ebenfalls davon ab, zum Hörer zu greifen. Er faßte die Lage für sich zusammen und kam zu dem Schluß, daß es keinen Sinn machte, seine Situation durch einen künstlich herbeigeführten Ersatz zu retuschieren. Im Gegenteil, es war besser für ihn, wenn er seine Gefühle auslebte, bis ihre Intensität sich von selbst legte; dazu gehörte, die erste Symphonie von Brahms bis zu ihrem Ende zu hören, denn die Musik bot einen Trost, der kein billiger Ersatz war.
    Tatsächlich machte er Anstalten, den Knopf erneut zu betätigen und zum zweiten Satz überzugehen, als er innehielt und ein Schreien hörte, das wie das schwache Weinen eines Säuglings klang.
    Es amüsierte ihn, daß er mit Sicherheit ausmachen konnte, daß es nicht das Baby von oben drüber war, dessen Geplärre man nie als schwach bezeichnen konnte. Der Gedanke belustigte ihn, daß in seiner näheren Umgebung ein Baby wohnte, dessen Weinen ihm vertraut war. Er konnte unterscheiden, wann es klagend und heiser brüllte und wann es laut vor Hunger schrie und schlagartig ver stummte. Was er da vernahm, war eher ein Winseln, schwach und verzweifelt, doch deutlich vernehmbar, als ob es von unten käme. Aber weil die Schreie streunender Katzen oder das, was er dafür hielt, in der letzten Zeit seine Nächte störten und er mehr als einmal von etwas erwacht war, das in seinen Ohren wie das Weinen eines Babys geklungen hatte, und stundenlang aufmerksam lauschend in der Dunkelheit wachgelegen hatte, bis er ganz sicher war, daß das Geschrei aus der Wohnung über ihm kam, versuchte er nun das Geräusch zu ignorieren.
    Das Gewimmer, das nichts mehr mit einem wollüstigen Jaulen gemein hatte und das sogar etwas beinahe Menschliches hatte, brachte ihn auf den Gedanken, daß die schwarze Katze, die er so verabscheute, womöglich unten im Keller, unter seiner Wohnung, geworfen hatte. Er öffnete die Tür und streckte den Kopf raus, als suche er den Fußabtre ter nach Katzen ab. Eine Katze fand er dort nicht vor, sondern einen braunen Umschlag. Er sah hinein. Zwischen den Papieren – den letzten Kassenabrechnungen der Hausverwaltung – kam ein Quittungsblock zutage, in dem ein gefalteter Zettel steckte, auf dem sie ihm ein gutes neues Jahr und viel Erfolg wünschten.
    Michael schob den Block hastig zurück in den Umschlag, als verschwinde er, wenn Michael nur nicht an ihn dachte. Er schmiß den Umschlag in die Wohnung, denn das Jau len wurde deutlicher und eindringlicher und übertönte ohne Schwierigkeit die Geräusche, die durch die geschlossenen Wohnungstüren in das Treppenhaus drangen. Wie ein Resonanzkasten verstärkte es in diesem Moment das laute Schimpfen einer Frau und das Kreischen eines Mädchens, die Stimmen aus Fernsehgeräten, die hartnäckigen Akkorde eines tiefen Streichinstruments, das Klappern von Tellern und Töpfen. Dieses Stimmengewirr konnte das Schreien von unten jedoch nicht übertönen. Das Geschrei machte deutlich, daß schleunigst gehandelt werden mußte. Wenn im Keller eine Katze geworfen hatte, war Eile geboten. Er mußte sie aus dem Gebäude bugsieren, bevor ihre Jungen hier Quartier bezogen.
    Je näher er zum Keller kam, der auch als Luftschutzbunker diente, desto eigenartiger wurde das Geräusch. Es erinnerte ganz und gar nicht mehr an eine Katze. Die Kellertür stand weit offen, und auf der Schwelle lag in einer kleinen Pappschachtel, auf einem Polster aus Zeitungen, die mit
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