Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
diktierten. Das Baby klammerte seine Händchen kräftig um die Finger, um nicht vollkommen verloren zu sein. Es sperrte erschrocken den Mund auf, fing an zu zappeln, und seine Lippen verzogen sich. Michael beugte sich über das kleine Gesicht und drückte seinen Mund zwischen den gemurmelten Worten auf die kleine Wange, als er einen Finger von dem verzweifelten Griff eines Fäustchens befreite. Mit einer Hand öffnete er die Druckknöpfe und be ruhigte sich selbst vor dem zu erwartenden Geschrei mit dem Gedanken an ein in Zuckerwasser getränktes Stück Stoff, mit dem er den kleinen Mund füllen könnte, der sich verzerrte, der zuckte und sich zu einer neuen Attacke öffnete.
    Er suchte in seiner Hosentasche nach einem sauberen Ta schentuch – dies war eine mögliche Antwort an alle, die sich wunderten, was er in der Ära des Papiertaschentuches mit gebügelten Stofftaschentüchern anfing –, und er fragte sich, ob er gleich in die Küche gehen sollte, um Zuckerwasser an zusetzen. Dann zog er die Klebebänder der Windel ab, die sich längst aufgelöst hatte, und rollte sie zusammen, wobei er darüber nachdachte, daß Juwal noch mit Stoffwindeln gewickelt worden war. Damals hatte es noch keine Einwegwindeln gegeben. Da erstarrte er für einen Moment und hörte sich selbst einen erstaunten Laut ausstoßen, bevor er schallend lachte. Damit hatte er nicht gerechnet. Er war sich mit dem Geschlecht ganz sicher gewesen, daß sogar sein gebannter Blick auf die Schamlippen, die wahrhaft rot und wund von Urin waren, ihn nicht sofort überzeugen konnte.
    »Du bist ja ein kleines Mädchen!« sagte er und beugte sich über die Kleine.
    »Nicht, daß es uns etwas ausmachen würde«, murmelte er in das winzige Ohr, »ein Baby ist ein Baby, auch wenn es ein Mädchen ist. Seltsam, wie unflexibel die Menschen manchmal sind. Wer einen kleinen Jungen gewickelt, geba det und gefüttert hat, denkt nicht daran, daß ein bekleide ter Säugling ein Mädchen sein kann. Wenn ich das gleich ge wußt hätte, hätte ich mich nicht gewundert, daß du dich nicht hin und her wirfst, wenn man dich auszieht. Ich habe schon gehört, daß Mädchen schon als Babys viel friedlicher sind.«
    Der kleine Körper war nun vollkommen entblößt. Ein bläuliches Adernetz stach von der weißlichen Brust ab. Rötliche Wundflecken übersäten den Bauch. Und bevor die Beine zu strampeln begannen, zog Michael das Kind auf sei nen Arm, drückte es fest gegen die Brust und ließ es lang sam in das warme Wasser gleiten, die Beine zuerst, dann den Po und zuletzt seinen eigenen Arm. Das Baby zitterte wie von einem Krampf geschüttelt und begann laut zu krähen. Michael nahm sein Murmeln wieder auf und legte seine Hand auf das Gesichtchen und den Hals. Seine Gesten waren hastig, als er die Kleine einseifte und abwusch. Schnell legte er den Körper zurück auf das Handtuch, schlug ihn ein und verpackte ihn, wühlte im Apothekerschrank nach einer Creme und fand schließlich die weiße Salbe in der blauen Blechdose, die Juwal vor vier Jahren, als er bei der Armee war, benutzt hatte.
    Als das Baby in dem Badetuch mit zappelnden Beinchen auf seinem Arm lag, mußte er an Nira denken. Wenn er Juwal vor den Mahlzeiten gebadet hatte, hatte sie in der Tür gestanden, den Rücken gegen den Rahmen gelehnt, und die Hände in die Ohren gesteckt, um sich vor dem Geschrei zu schützen. Er mußte sie mehrmals ermahnen, dem Baby einen Finger zu reichen, den es mit der Faust greifen konnte, um ihm die schreckliche Angst zu nehmen, völlig verloren zu sein. Immer wenn er sie aufgefordert hatte, hatte sie sich beeilt, ihm Folge zu leisten, und irgendwie ließen ihre Hilflosigkeit und ihr Gehorsam in ihm stets ein Gefühl der Unfehlbarkeit entstehen. Er mochte sich selbst nicht leiden, wenn er sie anwies, wie sie ihren Sohn zu behandeln hatte, doch er konnte sich auch nicht beherrschen.
    Er fand es sonderbar, die Haut eines Mädchens abzutrocknen und einzucremen. Als er die dickflüssige Paste auf ihrem Unterleib verrieb, untersuchte er den Nabel, der zu sehr hervorstand und ebenfalls gerötet war. Plötzlich befürchtete er, es könnte sich um einen Nabelbruch handeln, den die Kleine sich als Ergebnis des stundenlangen Schreiens zugezogen hatte. Nur ein Kinderarzt würde dies mit absoluter Sicherheit diagnostizieren können. Der Gedanke an einen Kinderarzt löste in ihm Unwillen und Angst aus. Ein Kinderarzt bedeutete, daß jemand von dem Säugling erfahren würde, den er eigentlich sofort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher