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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
Autoren: Batya Gur
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war ihr Freund. Sie hat zu keinem gesagt, daß sie wußte, daß er tot war. Sie hat nicht gesagt, ob dort eine Flasche lag oder nicht. Ich verstehe nicht, wen sie beschützt und warum sie das vor mir verborgen hat. Für Dworka ist eine Lüge wie ... wie ... Dworka und so etwas verbergen ... das ist wie ...« Er wischte sich über die Stirn. »Ich kann nicht mehr«, sagte er schließlich, »ich breche zusammen. Und meine Medikamente sind in meinem Zimmer ... Ich muß zurück in mein Zimmer.«
    »Sie haben immer etwas hier in der Tasche«, sagte Michael.
    Mojsch wühlte in seiner braunen Tasche herum und zog die bekannte Plastikflasche heraus. Er betrachtete sie und schüttelte sie. »Leer«, sagte er dann und warf sie in den Papierkorb. »Ich gehe in mein Zimmer.«
    »Ich werde Sie begleiten«, sagte Michael und schaute zu, mit welcher Anstrengung Mojsch von seinem Stuhl aufstand. »Möchten Sie vielleicht zur Ambulanz gehen? Soll ich der Schwester Bescheid sagen? Sollen wir einen Arzt rufen? Brauchen Sie einen Arzt?«
    »Keinen Arzt«, sagte Mojsch, »keinen Arzt, keine Schwester, gar nichts. Ich möchte nur in meinem Bett liegen. Wenn ich meine Medizin genommen habe, geht es mir bald besser.«
    Sie gingen langsam. Michael unterdrückte das Gefühl, keine Zeit zu haben. Ein zufälliger Beobachter hätte sie für zwei Männer halten können, die einen unschuldigen klei nen Spaziergang machten, aber es war niemand da, der sie hätte sehen können. Die Sonne brannte; in diesem Licht sah Mojschs Gesicht fast gelb aus. Vor seinem Zimmer blieb er stehen und sagte: »Ich bin gleich wieder in Ordnung, wirklich. Sie können mich jetzt allein lassen.«
    Michael nickte und sagte: »Wir reden nachher weiter, wenn Sie sich ausgeruht haben.«
    Doch bevor er sich auf den Weg zum alten Sekretariat machte, schaute er sich um. Dann ging er zu dem großen Gebüsch neben Mojschs Zimmer und bog die Zweige zurück. Eine Wespe flog aus den staubigen Zweigen, aber Machluf Levi war nicht da.
    Etwas hielt Michael zurück. Er fühlte sich beobachtet und fragte sich, ob er dabei war, seinen Realitätssinn zu verlieren. Er wollte gerade weggehen, als er meinte, seltsame Geräusche von drinnen zu hören. Er ging zum Fenster und schaute hinein. Mojsch lag auf dem Boden und erbrach sich. Krämpfe schüttelten seinen Körper. Michael riß die Tür auf. Niemand war da, außer Mojsch, der laut stöhnte. Neben ihm auf dem Teppich lag die Plastikflasche. Aus ihr floß die weiße Flüssigkeit, die immer leicht nach Pfefferminz roch. Nun roch sie nach etwas anderem, und derselbe Geruch kam aus Mojschs Mund.
    Michael spürte, wie er von kühler Sachlichkeit erfaßt wurde, ein Gefühl, das er schon seit Tagen nicht mehr empfunden hatte. Sicherheit und das Wissen um das, was zu tun war, lag in seiner Stimme, als er ins Telefon sagte: »Sofort. In Mojschs Zimmer.«
    Dann beugte er sich über den großen Mann mit den verrenkten Gliedern. Er war bei Bewußtsein. »Sie kennen diesen Geruch?« fragte Michael. Seine Stimme hatte nun einen beruhigenden, tröstenden Klang, als spräche er zu einem Kind. So wie er immer mit Juwal gesprochen hatte, wenn er krank war und Fieber hatte.
    »Ich rieche nichts«, sagte Mojsch mit großer Anstrengung.
    »Ist das Parathion?« fragte Michael.
    »Es war in der Flasche, ich weiß es, und ich werde sterben.«
    »So schnell stirbt man nicht«, sagte Michael. »Sie werden nicht sterben.«
    Mojsch fing wieder an, sich zu übergeben. Sein Gesicht war weiß, sein Körper krümmte sich wieder. Er röchelte, und Michael fing an, die Sekunden zu zählen.
     
    »Es ist immer dasselbe«, sagte Awigail, als sie die Flasche auswickelte. »Ich habe nur vier Minuten gebraucht, um herzukommen, aber dir kam es wie eine Ewigkeit vor, weil du nicht sicher warst, daß ich es rechtzeitig schaffe.«
    »Wenn du nicht sofort gekommen wärest, wäre er jetzt tot«, sagte Michael.
    »Fünf Minuten später. Wenn ich ihm nicht gleich Atropin gespritzt hätte, wäre er fünf Minuten später tot gewesen.«
    Michael lief ein Schauer über den Rücken.
    »Und es gibt da noch etwas anderes. Du hast es vielleicht gar nicht so realisiert, aber mir hat es große Sorgen gemacht«, sagte Awigail.
    »Was denn?« fragte Michael und versuchte, das Zittern zu beherrschen, das ihn plötzlich gepackt hatte.
    »Wenn man jemandem ein Gegenmittel gegen Parathion spritzt und es ist nicht nötig, das heißt, er ist nicht vergiftet, kann das Mittel nicht weniger gefährlich
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