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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
Autoren: Tricia Rayburn
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und vier Handyanrufe später saß ich im Auto und starrte auf unser Ferienhaus.
    Zu dieser Zeit im Sommer war es gewöhnlich voller Lärm und Leben. Jetzt sah es beklemmend verlassen aus. Die Eingangstür war verriegelt, die Fenster waren verschlossen, die Vorhänge zugezogen und die Jalousien heruntergelassen. Die Tonkrüge auf den Eingangsstufen, in denen Moms Geranien hätten blühen sollen, waren voller Unkraut. Dads Lieblingsfahne, auf der ein Paar Haubentaucher prangte und die er immer hisste, um offiziell den Sommer einzuläuten, lag irgendwo auf einem Regal in der Garage.
    Doch trotz dieses deprimierenden Anblicks konnte ich sie vor mir sehen, wie sie die Autotür aufschmiss und den Plattenweg entlangrannte, auf der Veranda von einer Seite zur anderen wirbelte und durch die Fenster lugte. Dieses letzte Mal war sie an einem Ende der Veranda stehen geblieben und hatte sich über das Geländer zum Haus der Carmichaels vorgebeugt. Die Brise hatte das purpurrote Sommerkleid um ihre Knöchel tanzen lassen, und das lange dunkle Haar war ihr über die Schulter gefallen, so dass es eine Hälfte ihres Gesichts verdeckt und das Lächeln verborgen hatte, das sie ganz bestimmt trug.
    Ich hatte zum Nachbargrundstück geschaut, um zu sehen, ob Caleb draußen stand und auf sie wartete. Zwar hatte ich ihn nicht entdecken können, aber das bedeutete nichts. Wahrscheinlich hatte er schon stundenlang hinter einem Busch gehockt – unauffällig, wie Justine es verlangt hatte –,um wenigstens einen Blick auf sie zu erhaschen. Damals hatte ich gedacht, was für ein schönes Gefühl es sein musste, so sicher zu wissen, dass man von jemandem erwartet wurde.
    Dieses Gefühl hätte ich jetzt auch brauchen können.
    Ich sah gerade in den Rückspiegel, als ein Lichtschein hinter mir aufflackerte. Bei näherem Hinschauen entdeckte ich nichts weiter als unseren Briefkasten in Entenform und eine Menge Bäume, also drehte ich mich auf dem Sitz um, so dass ich durch das Rückfenster spähen konnte.
    Dumme kleine Nessa. Jetzt bildest du dir schon Sachen ein, bevor die Sonne untergeht?
    Ich fuhr herum, als Justines Stimme durch meinen Kopf hallte.
    »Wird Zeit, dass ich Caleb finde«, sagte ich laut und öffnete die Tür.
    Ich hatte schon einen Turnschuh auf dem Boden, als mein Blick auf der gefalteten Zeitung landete, die bei der Zufahrt lag. Es war der Winter Harbor Herald, eine kostenlose Wochenzeitschrift, die vor allem Touristenwerbung für Restaurants und Shops enthielt. Der Herald brachte gewöhnlich nur einmal in der Urlaubszeit eine richtige Schlagzeile anstatt Artikel über den romantischsten Fotospot bei Sonnenuntergang oder die beste Location für ein authentisches Winter-Harbor-Essen. Meistens ging es in der Story um betrunkene Minderjährige oder Hummerkäfigdiebe. Die Zeitung druckte sie eigentlich immer am Ende der Urlaubszeit, wenn alle schon genug geshoppt und gegessen hatten und nun bereit waren, einen Blick auf die dunklen Seiten von Winter Harbor zu wagen.
    Aber diesen Sommer hatte die Schlagzeile nicht warten können.
    Tragödie in Winter Harbor: Teenager stürzt zu Saisonbeginn in den Tod!
    Ich starrte auf die Überschrift, deren Dramatik noch durch dicke Großbuchstaben unterstrichen war. Direkt darunter befand sich das Schulabschlussfoto von Justine. Ich vergaß fast den Grund, aus dem sie auf der Titelseite abgebildet war, weil sie so umwerfend schön aussah. Das Haar fiel ihr in Wellen über die Schultern, ihre Augen strahlten, und ihr Lächeln war freundlich und warm.
    Ich dachte an mein eigenes Schulfoto, für das ich eigentlich am Ende dieses Sommers hätte posieren sollen. Es wäre niemals so phantastisch geworden wie das von Justine, denn alles an meinem Aussehen war irgendwie mittelmäßig: Mein langes Haar war weder blond noch braun, meine Augen weder blau noch grün, meine Haut konnte je nach Lichteinfall milchweiß oder käsig aussehen. Das Einzige an mir, das nicht durchschnittlich aussah, war mein Lächeln. Zwar kam es nicht oft zum Vorschein, aber dann ließ es mein ganzes Gesicht erstrahlen. Jetzt jedoch war mein Hauptgrund, mich glücklich zu fühlen, für immer verschwunden, und für das Foto hätte ich genauso gut mit dem Rücken zur Kamera stehen können.
    Ich hob die Zeitung auf, als ich aus dem Auto stieg. Zwar wollte ich den Artikel über Justine nicht lesen, aber ich konnte sie auch nicht einfach in der Auffahrt liegen lassen. Also faltete ich die Zeitung eng zusammen und steckte sie in die
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