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Obsession

Titel: Obsession
Autoren: Simon Beckett
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angeschaut.
    Kurz vor seinem vierten Geburtstag war bei ihm Autismus diagnostiziert worden. Wenig später war Ben zu Fotoaufnahmen nach
     Antigua gereist. Als am zweiten Abend das ganze Team in eine Bar gegangen war, hatte sich eines der Models an ihn herangemacht.
     Sie hatte einen phantastischen Körper, gebräunte, makellose Haut gehabt, und er hatte gewusst, dass Sarah nie davon erfahren
     würde. Er hatte dieses Versprechen auf berauschenden, problemlosen Sex vor sich gesehen und an den Stress der vergangenen
     Monate denken müssen. Die Besuche mit Jacob bei Spezialisten. Das Warten auf Testergebnisse. Die vergeblichen Versuche, Sarah
     zu trösten, als sie das erste Mal, seit sie sich kannten, weinte, nachdem sie die Ergebnisse erfahren hatte. Wollte er sich
     wirklich an eine Frau mit einem autistischen Kind binden, das nicht einmal sein eigenes war? Die Antwort hatte ihn im Grunde
     nicht überrascht.
    Er hatte sich bei dem Model entschuldigt und die Nacht allein in seinem Hotelzimmer verbracht. Noch am Tag seiner |36| Rückkehr nach London hatte er Sarah einen Heiratsantrag gemacht.
    Nun stand er vor Jacobs Bett, schaute hinab auf ihren Sohn und suchte nach Ähnlichkeiten, welche die Frage ihrer Mutterschaft
     von allem Zweifel befreien würden. Aber es gab keine. Das Haar des Jungen war rötlich braun und viel dunkler als Sarahs. Seine
     Augen waren blassbraun, und seine Züge besaßen keine Spur von ihrer feinen Knochenstruktur. Ben war immer davon ausgegangen,
     dass der Junge nach seinem Vater kam.
    Vielleicht stimmte das auch.
    Er verließ das Zimmer und ging nach unten. Im Haus war es still. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und ging ins Wohnzimmer.
     Sarah mochte es nicht, wenn er zu Hause rauchte, aber Jacob war im Bett, und er hatte noch nie so sehr eine Zigarette gebraucht
     wie jetzt. Er zündete sich eine an und sog dankbar den Rauch ein, während er zum Bücherregal ging und die Metallkassette herausnahm.
     Er trug sie zum Sofa und breitete die Zeitungsausschnitte auf dem Polster neben ihm aus, wo vor kurzem noch Jacob gesessen
     hatte. Er nahm den Ausschnitt, auf dem ein Foto der Eltern des verschwundenen Babys zu sehen war. John Cole konnte man darauf
     kaum erkennen, aber wenn Jacob nicht nach Sarah kam, so ähnelte er wenigstens auch nicht dem Zeitungsbild von Jeanette Cole.
     Ben legte den Ausschnitt zurück zu den anderen. Er hatte sie bereits unzählige Male angeschaut, ohne dass ihm etwas Neues
     aufgefallen wäre. Ein neugeborenes Baby war verschwunden, zufälligerweise am Tag von Jacobs Geburt. Na und? An diesem Tag
     waren wahrscheinlich Hunderte Babys geboren worden. Es hatte nichts zu bedeuten.
    Warum hatte sie dann die Ausschnitte aufbewahrt?
    Bei dieser Frage fiel jedes Mal sein gesamtes Gedankenkonstrukt |37| in sich zusammen. Er konnte sich sagen, dass es lächerlich war, sich von ein paar alten Zeitungsausschnitten durcheinanderbringen
     zu lassen, und dass die Daten nur zufällig übereinstimmten. Da Sarah am Tag ihrer Niederkunft von dem Verschwinden eines anderes
     Babys gelesen hatte, wird sie sich dazu veranlasst gefühlt haben, die Berichte aufzuheben. Dann hatte sie die Ausschnitte
     beiseitegelegt und, was ihr ähnlich sah, vergessen, sie wegzuwerfen.
    Ganz einfach.
    Aber es funktionierte nicht. Sarah hätte vielleicht eine ganze Zeitung aufbewahrt, vielleicht sogar mehrere, aber er hatte
     nie erlebt, dass sie einzelne Artikel ausgeschnitten hatte. Diese Pingeligkeit passte nicht zu ihrem Naturell. Vor allem konnte
     er sich nicht vorstellen, warum sie gemeinsam mit der Geburtsurkunde in einer verschlossenen Kassette steckten.
    Oder er konnte es doch.
    Die Verwirrung kratzte an seiner Trauer. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Selbst diese Geste versetzte ihm einen Stich
     – ihr hatte es gefallen, wenn er das Haar lang trug, sie war gerne mit ihren Fingern hindurchgefahren. «Mein Gott, Sarah»,
     sagte er. Das Bedürfnis, sie zu sehen, mit ihr zu reden und sie anzuhören, war so tief, dass es ihn erschreckte. Er konnte
     nicht glauben, dass all das nie wieder geschehen würde. Es war, als hätte jemand dort Löcher in die Welt geschnitten, wo sie
     hätte sein sollen. Er spürte, wie sich seine Kehle zusammenschnürte, und zog ein letztes Mal an der Zigarette. Doch als er
     den Rauch ausblies, entstand ein Schluchzen, und plötzlich weinte er.
    Nachdem es vorübergegangen war, fühlte er sich ausgelaugt, war aber auch wieder bei sich. Sarah war seine
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