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Obsession

Titel: Obsession
Autoren: Simon Beckett
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Sarah es nicht mochte, wenn er sich über |33| andere lustig machte. Aber ob nun schrecklich oder nicht, Jessica war damals angehende Hebamme gewesen, und als Jacob vor
     dem Termin geboren worden war, hatte Jessica ihn mitten in der Nacht entbunden.
    Das war die Wahrheit, die er kannte. Wenn er sich daran erinnerte, fühlte er sich erleichtert, doch dann glitt ihm seine Gewissheit
     unmerklich wieder aus den Händen, und die gesamte innere Diskussion begann von vorn.
    Jacob gähnte erneut und rieb sich die Augen. Ben musste lächeln, als er sah, wie der Junge gegen den Schlaf kämpfte. «Komm,
     Zeit, ins Bett zu gehen.» Er trug ihn huckepack nach oben und ließ das Bad ein. Der Junge war so müde, dass er ununterbrochen
     gähnte, folgte aber dennoch dem Ablauf, der auf kleinen Schaubildern an der Badezimmertür aufgeführt war. Sarah hatte sie
     auf Grundlage der Rebus-Symbole, die in der Schule verwendet wurden, eigenhändig gezeichnet. Es waren einfache Bilder von
     Strichmännchen, die die Toilette spülten, sich die Hände wuschen und die Zähne putzten. Auf manchen Bildern zeigte eine Sonne
     an, dass sie für den Tag galten, andere waren mit einem Halbmond versehen, und Jacob hielt sich gewissenhaft an die Abläufe.
     Einmal hatte Ben den Fehler begangen, sie abzunehmen, weil er dachte, sie würden nicht mehr benötigt, doch Jacob hatte ein
     solches Theater veranstaltet, dass er sie schnell wieder aufgehängt hatte. Ob nötig oder nicht, die Schaubilder waren ein
     Teil der beruhigenden Ordnung geworden.
    Ben gab ihm einen Gutenachtkuss und trat zurück, während Jacob die Decke hochzog, sich umdrehte und augenblicklich einschlief.
     Jetzt hatte er ein schlechtes Gewissen, ihn so spät ins Bett gebracht zu haben. Äußerlich hatte man dem Jungen nicht angemerkt,
     ob ihm der Tod seiner Mutter bewusst war, aber er musste ihn getroffen haben. Ben |34| war sich sicher, dass er zumindest spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Er glaubte nicht, dass Jacob verstand, was ein
     Begräbnis war – schon ein normaler Tag war für ihn verwirrend genug   –, aber während des Gottesdienstes hatte er auf den Sarg gestarrt und war hin- und hergeschaukelt, was er nur dann tat, wenn
     eine Situation ihn beunruhigte. Tessa hatte versucht, Ben mit ihrer gewohnten Spitzfindigkeit davon zu überzeugen, den Jungen
     nicht mitzunehmen. Ihrer Meinung nach würde er nichts davon haben und nur Theater machen. Aber Sarah hätte gewollt, dass er
     dabei wäre. Sie hatte immer daran festgehalten, Jacob so weit wie möglich wie ein normales Kind zu behandeln und seinem Autismus
     nicht mehr Zugeständnisse zu machen, als sie musste.
    «Er ist ein kluger Junge», hatte sie gesagt. «Ich werde ihn nicht bevormunden, weil er ein Autist ist. Er ist nicht zurückgeblieben.»
    Doch eine Zeitlang hatten sie gedacht, dass er es sein könnte. Ben jedenfalls. Sarah gegenüber hatte er das nie ausgesprochen,
     obwohl er sicher war, dass auch sie es merkte. Als Baby hatte Jacob lange gebraucht, bis er krabbeln oder gehen konnte. Im
     Alter von drei Jahren hatte er noch kaum ein Wort gesprochen, und die Ausrede, dass er einfach langsamer war als die anderen,
     war nicht länger haltbar. Aber erst seine fehlenden Reaktionen überzeugten Ben, dass etwas nicht stimmte. Für Jacob schien
     es keinen Unterschied zu machen, ob er liebkost oder in seinem Zimmer allein gelassen wurde. Er lächelte selten, und wenn
     er jemanden anschaute, dann tat er es mit der gleichen Teilnahmslosigkeit, die er einem Möbelstück entgegenbrachte. Das war
     selbst bei Sarah nicht anders gewesen. Lange Zeit war Ben sein gleichgültiges Starren unheimlich, aber auch darüber verlor
     er nie ein Wort.
    |35| Schließlich hatte selbst Sarah nicht mehr verleugnen können, dass ihr Sohn ein Problem hatte. Als sie Jacobs Gehör untersuchen
     ließ, kam es Ben vor, als hoffte sie geradezu, der Junge wäre taub und sein Problem ein rein körperliches. Er hatte nicht
     daran geglaubt. Jacob schien weder zu verstehen, was man ihm sagte, noch seinen Namen zu erkennen, reagierte aber unverkennbar
     auf bestimmte Geräusche. Egal, in welchem Zimmer er sich aufhielt, beim Läuten der Türklingel schaute er zur Tür. Und als
     Sarah einmal außer Haus gewesen war, hatte Ben den Versuch gemacht, sich hinter ihn zu stellen und eine Packung Süßigkeiten
     zu öffnen. Sofort war der kleine Junge herumgewirbelt und hatte ihn nicht wie üblich mit leerem Blick, sondern erwartungsvoll
    
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