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Ob das wohl gutgeht...

Ob das wohl gutgeht...

Titel: Ob das wohl gutgeht...
Autoren: Robert Tibber
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das in einem vertikalen Wasserfall vom Scheitel bis zur Taille fiel und einem die Illusion gab, daß sie nur aus Haar und Beinen bestehe, beides allerdings von außergewöhnlicher Länge. Als sie mich anblickte, entdeckte ich, daß sie außer diesen beiden bemerkenswerten Attraktionen über ein Paar Saphiraugen verfügte, die von Augenwimpern umschattet waren, von denen ich vorsichtshalber gar nicht erst annahm, sie könnten echt sein.
    »Ich nehme an, daß Sie Referenzen haben?« Ich seufzte.
    Sie wühlte in etwas, das ich als ihre Handtasche ansehen mußte, aber dem Umfang nach so aussah, als sei sie darauf vorbereitet, über Nacht hier zu bleiben.
    »Bitte, hier.«
    Wie Freds Papiere waren auch diese ganz gewiß echt. Wer hätte solches Pflichtgefühl, solche Tüchtigkeit, Initiative und Bürokenntnisse in einem so jungen Wesen vermutet? Ob meine Patienten gewillt wären, diesem Kind, das noch nicht der Schulbank entwachsen schien, ihre Wünsche nach Zäpfchen oder Elastikbinden anzuvertrauen? Würden die Alten, die Kranken und Gehemmten in diesen verschleierten Saphiraugen menschliche Anteilnahme entdecken? Ich sehnte mich nach der behaglichen Schlichtheit von Miss Simms.
    »Sagen Sie mir«, begann ich, »ob Sie hier wirklich arbeiten wollen. Es gibt hier nur sehr wenig, was ein Mädchen wie Sie interessieren wird. Wären Sie nicht in einem Filmstudio glücklicher oder in der Stadt, wo Sie mit Leuten Zusammenkommen? Es gibt dort sehr viele aufregende Jobs...«
    »O nein, Sir...«
    Ich schloß gepeinigt die Augen.
    »Wissen Sie, mein Mann ist Journalist. Er ist den ganzen Tag unterwegs und auch sonst viel abwesend. Wir wohnen gleich um die Ecke in einem Neubau, und ich brauche nicht mehr als eine Stunde täglich, dann bin ich schon mit der Hausarbeit fertig. Wie Sie aus meinen Papieren sehen, bin ich als Sekretärin ausgebildet, und ich kann einfach nicht den lieben langen Tag herumsitzen und die Wände anstarren. Bis zur Stadt müßte ich zu lange fahren, deshalb suche ich hier in der Nähe nach einer Beschäftigung.«
    Sie sah kaum alt genug aus, um verheiratet zu sein. Ich nahm an, daß sie erst kürzlich geheiratet hatte und daß dies ihr erstes Heim war.
    »Wie lange sind Sie denn schon verheiratet?« fragte ich sie.
    »Fünf Jahre. Wir sind eben erst aus Purley hergezogen.«
    Ich schluckte.
    »Und Sie sind ganz sicher, daß Sie diese Arbeit tun wollen?«
    Lebhaft schaute sie mich an, arrangierte ihre außergewöhnlichen Beine neu und beugte sich vertrauensvoll vor.
    »Was ich am liebsten möchte, lieber als irgend etwas anderes, ist ein Baby. Aber augenblicklich bin ich auch mit einem Job zufrieden.«
     

3
     
    Es war vermutlich Notwehr, daß ich Dr. Mallesons Angebot annahm. Mit dem Auftreten von Fred und Lulu hatte sich der Charakter meiner Praxis nach der behaglichen Durchschnittlichkeit von Dr. Fouracre und Miss Simms in einem solchen Ausmaß verändert, daß ich aus dem Gleichgewicht geworfen wurde und uneins war mit mir selbst, mit den Zeiten und mit dem »Geschäft«, für das ich verantwortlich war.
    Von Anbeginn hatte Fred, gefolgt und angebetet von Lulu, alles und jedes nach seiner Art geprägt. Seine neueste Erfindung war ein Transistorradio im Wartezimmer, aus dem von früh bis spät Pop-Musik plärrte. Das Sprechzimmer war zwar schalldicht abgesichert, aber es war beinahe unmöglich, die Musik zu überhören, weil derartige Disharmonien durch den grünen Türfilz drangen, daß man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Ich war sicher, daß nicht nur ich mich belästigt fühlte, sondern daß auch die wartenden Patienten durch den Spektakel auf ihren Trommelfellen tödlich verletzt wären und vermutlich total verärgert nach Hause gehen würden. Am ersten Morgen der Kakophonie lief ich in das volle Wartezimmer, um den Lärm abzustellen, aber zu meinem größten Erstaunen wurde ich mit Ausrufen begrüßt wie: »Aber, Doktor, wir wollen das weiter hören!« Ich versuchte einen Kompromiß zu finden, indem ich den Ton etwas leiser einstellte, doch Großpapa Tolley, der ohne seinen Hörapparat erschienen war und auf sein Lieblingslied lauerte, schimpfte augenblicklich, ebenso Lulu, die mit den Fingern schnalzte und ihre Augen zur Musik hin und her rollte, während sie die Patientenkarten ausgab und es trotz des entsetzlichen Lärms irgendwie fertigbrachte, sich am Telefon verständlich zu machen. Als Mrs. Braithwaite sich weigerte, zu mir ins Sprechzimmer zu kommen, ehe sie nicht den Schlager der
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