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Nybbas Nächte

Nybbas Nächte

Titel: Nybbas Nächte
Autoren: Jennifer Benkau
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in die fahle Kälte des Menschenkörpers, neben dem sie bereits kniete und auf ihren Geliebten wartete.
    Er hatte kaum die Augen geöffnet, als sie ihre verengte und die Stirn runzelte. „Nicholas, geht es dir gut?“
    Mehr als ein tattriges Nicken gelang ihm noch nicht. Sie zog seinen Kopf in ihren Schoß und kämmte mit den Fingern durch sein Haar.
    „Du siehst verändert aus. Müde. Ausgelaugt.“
    „War ein … schwerer Kampf.“ In Wahrheit waren es zwei schwere Kämpfe gewesen.
    Sie schluckte. „Erzähl mir davon.“
    „Ich bewundere dich“, gab er atemlos als Antwort. Diese war lange nicht so zusammenhanglos, wie sie glauben musste. „Weil du es mit mir aushältst. Jo, ich habe eine Ahnung bekommen, was ich bin. Was ich dir angetan habe. Und was du zu lieben imstande bist. Himmel und Hölle können sich nicht vorstellen, was dir damit gelingt, denn möglich sein dürfte das nicht.“
    „Was ist denn nur passiert?“ Ihr verwirrter Ausdruck nahm noch zu, und ließ ein paar winzige Fünkchen aus Amüsement in ihm aufglimmen.
    „Nichts Schlimmes“, sagte er. „Ich stand mir nur selbst gegenüber.“

    Der Friedhof, auf dem Demjan seine Toten beerdigt hatte, wirkte, als wäre er seit Dekaden vergessen. Das Dorf, zu dem er einst gehörte, bestand nur noch aus von Flechten überwachsenen Ruinen und überwucherten Straßen. Die Holzkreuze waren verfallen und die wenigen Grabmale aus Stein schienen unwirklich wie Nebelgeister.
    Nicholas hatte Joana ihrem Wunsch folgend hergebracht, nachdem die Füchse gegangen waren. Groll stand nicht zwischen Demjan und ihm. Dafür vierzehn Tote. Elias mitgezählt, auch sein Körper war hier begraben worden, ebenso wie Ruts.
    Ihr Tod schmerzte Joana, es gelang ihr nicht, darin etwas Positives zu sehen, wie Demjan gesagt hatte. Nun gut, Rut war schwer krank gewesen und hätte einen langen Leidensweg vor sich gehabt. Zu erfahren, dass die langjährige Freundin sie nur benutzt hatte, hätte der alten Frau das Herz gebrochen. Sie wäre nicht mehr darüber hinweggekommen.
    Doch auf diese Weise zu sterben, von der getötet, die sie für ihre Tochter hielt – das hatte sie nicht verdient.
    Ebenso wenig wie Hella die Einsamkeit verdient hatte, unter der sie litt, seit Tomte geflohen war. Joana blieb ein Hauch von Hoffnung, dass er sie irgendwann zu sich holen würde. Ohne ihn, dessen war sie sicher, würde Hella kein Glück finden. Käme er nicht zurück, würde Tomte schließlich auch nie erfahren, dass nicht Demjan seinen Vater getötet hatte, sondern die Speculara.
    Doch die größte Schwere empfand sie bei dem Gedanken an Elias. Sein Tod war unnötig, so ungerecht. Sie erinnerte sich daran, was sie in einem von Ruts Büchern über die Racheengel gelesen hatte. Sie galten als schwach, aber risikofreudig, hieß es, und wurden meist nicht so alt wie andere Dämonen. Allerdings fielen sie selten im Kampf. Stattdessen schienen Unfälle sie magisch anzuziehen. Als schützte sie das Schicksal mit Vorliebe vor wahren Gefahren, nur um sie hinterrücks zu erdolchen, wenn niemand damit rechnete. Als rächte sich das Schicksal an denen, die aus Rachsucht entstanden. Auch Elias hatte diese Absätze gelesen und sich darüber lustig gemacht.
    Joana ließ sich auf den Überresten der Friedhofsmauer nieder. Näher wollte sie nicht an die frischen Gräber heran. Nicholas stand dicht neben ihr und sie lehnte die Schulter gegen seine Hüfte. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie er die unsichtbaren Linien mit dem Finger nachfuhr, die er mit Elias’ Blut gezeichnet hatte.
    „Du spürst es noch, nicht wahr?“
    „Ich werde es spüren, bis ich ihn vergessen habe.“
    „Sieh mal.“ Sie wies mit der Hand über den Friedhof. Eine einzige christlich anmutende Statue stand aufrecht zwischen den einfachen, gedrungenen Steinklötzen, und obwohl nur noch der Torso vorhanden war, Kopf, Arme und Flügel fehlten, ahnte Joana, dass es früher ein Engel gewesen sein musste. Sie schmiegte die Wange an Nicholas’ Bauch und spürte ihn atmen, als würde es große Mühe bereiten. „Du wirst ihn nie vergessen.“
    „Glaubst du immer noch an Wiedergeburt?“, fragte er leise. „Wenn nicht, dann sag es mir nicht. Ich kann nicht glauben, aber ich würde es gerne, und wenn du es für mich tätest …“
    Sie fühlte sich zu erschöpft, um ihn mit einem Lächeln aufzumuntern, aber versuchte es trotzdem. „Wie könnte ich an meinem Glauben zweifeln, nachdem ich einen Engel gekannt habe.“
    „Du hast einen
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