Nuramon
sicher, dass dort alles seinen Gang geht. Es gab Zeiten, da wäre es mir gleich gewesen, wie ich ins Mondlicht komme, solange es nur geschehen wäre. Hätte man mir gesagt, ich würde darum bitten, das Mondlicht hinauszuzögern, ich hätte nur den Kopf geschüttelt.« Er schaute zu Ceren und Dareen hinüber. »Euch hier zu wissen, beruhigt mich. Ihr werdet Trost spenden, wann immer einer der unseren ihn braucht.« Er schaute in die Runde, dann küsste er Daoramus Hände und wischte ihr die Tränen fort. »Lebt wohl!«, sagte er.
Da war er, der frische Blütenduft, von dem Nuramon so oft erzählt hatte – ein magischer Duft, der von einem Zauber ausging, der sich Nuramon von allen Seiten näherte. Die Leute schauten sich um, als suchten sie nach der Quelle des Duftes. Gaerigar sog die Luft tief ein und schloss dabei die Augen. Während Yendred weinte und Lyasani im Arm hielt, starrte Salyra neben Jaswyra und den Mädchen stumm und starr auf Nuramon und Daoramu. Ceren und Dareen aber tauschten Blicke und lächelten.
Eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss, und Daoramu wollte sich langsam von Nuramons Seite zurückziehen, doch er ließ sie nicht gehen. Er hielt ihre Hand umfasst, erhob sich und schloss sie im Stehen noch einmal in die Arme.
Silberschleier schwebten durch die Luft und schlängelten sich Nuramon wie feine Seidentücher entgegen. Ein weißes Licht umschien ihn, sein Gesicht verschwand im Leuchten, und Daoramu, die nicht von ihm wich, verblasste daneben. Der grelle Lichtschein hüllte sie ein und erfasste sogar Ceren und Dareen. Nerimee spürte die Aura ihres Vaters. Die fremde Magie der Geister war fort, und zurück blieb der Hauch seines Zaubers. »Leb wohl, Daoramu!«, sagte er leise.
Auch wenn im Licht nichts zu erkennen war, erspähte Nerimee mit den Zaubersinnen, wie die Aura ihres Vaters sich löste und emporschwebte. Es war anders, als er das Verschwinden von Farodin und Noroelle beschrieben hatte. Aber er hatte auch gesagt, dass es Unterschiede gebe. Nerimee streckte ihre Zaubersinne ihrem Vater hinterher. Sie wollte ihn so lange wie möglich umfassen, doch sein magischer Hauch rann ihr wie Wasser zwischen den Fingern hindurch.
Das Licht verging, und Nerimee erstarrte: Ihr Vater war fort – und ihre Mutter ebenfalls. In den Gesichtern ihrer Familie stand die Ratlosigkeit geschrieben. Nur Ceren und Dareen lächelten noch immer. Das Orakel strahlte sogar vor Glück.
»Ihr habt es die ganze Zeit gewusst«, sagte Nerimee mit schwankender Stimme.
Das Orakel nickte. »Seit Blireena und die anderen das Schicksal änderten, ahnte ich es.«
»Aber sind sie auch wirklich zusammen?«, fragte Nylma.
Dareen nickte. »Das sind sie.«
»Aber Mutter war ein Mensch«, flüsterte Yendred. »Können auch Menschen …«
Ceren hob die Hand. »Der Orakelstein und all die von meinem Hauch durchdrungene Magie, die wir deiner Mutter zuspielten, um sie zu retten, haben einige der Fesseln, die den Menschen auferlegt wurden, gelöst.«
»Sie war wie ich«, sagte Dareen. »Und sie war wie Ceren. Sie ist wie du, deine Geschwister und eure Kinder, ein Beweis dafür, dass die Lebewesen in den Welten aus einer Quelle entspringen; dass sie verwandt sind. Was Elfen und andere Wesen ins Mondlicht entschweben lässt, ist ein Geheimnis.«
Nerimee spürte, dass der Schmerz des Abschieds von ihrem Vater durch das Verschwinden ihrer Mutter nicht noch weiter in die Höhe gewachsen war. Die Liebe ihrer Eltern beobachtet zu haben und nun zu wissen, dass sie zusammen waren, tröstete sie. Was ihre Eltern in diesem Augenblick fühlen mussten! Sie hatte sich nach Gaerigars Wiedergeburt oft gefragt, ob sie den Weg ins Jenseits der Menschen nehmen würde oder aber ins Mondlicht entschweben und für immer von Waragir und Bargorl getrennt sein würde. Dass ihre Mutter mit ihrem Vater entschwunden war, weckte eine neue Hoffnung in ihr. »Könnte es nicht sein, dass Menschen nach dem Tod ins Mondlicht gehen, und nur der magische Hauch der Elfen den Blütenduft und das Licht erzeugt«, sagte sie. »Der Körper der Menschen aber bleibt hier zurück, und sie werden als Geister im Mondlicht wiedergeboren. Am Ende gibt es vielleicht nur ein Jenseits.«
»Das Verschwinden deiner Mutter ist ein Fundament, auf das sich manches Glaubensgebäude errichten lässt«, sagte Dareen. »Es steht mir nicht zu, Dinge, um deren Wahrheit ich nicht weiß, für wahr zu erklären. Aber es wäre ein tröstender Gedanke.«
Gaerigar schaute noch immer an
Weitere Kostenlose Bücher