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Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Titel: Nur zu deinem Schutz (German Edition)
Autoren: Harlan Coben
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geblieben. Das Foto mit den fünf Hippies, auf deren T-Shirts ich das erste Mal den seltsamen Schmetterling gesehen hatte, stand immer noch auf dem Kaminsims. Aber diesmal war der Plattenspieler an. Es lief ein Stück von HorsePower, das ich kannte. Es hieß »Time Stands Still«. Und in der Mitte des Raums erwartete mich die Hexe und trug dasselbe weiße Kleid, in dem ich sie noch vor wenigen Tagen zum ersten Mal gesehen hatte.
    Sie lächelte mich an. »Das hast du gut gemacht, Mickey.«
    Ich war nicht in der Stimmung, noch länger Katz und Maus mit ihr zu spielen. »Ich weiß zwar nicht, wofür die Lorbeeren sind oder was hier eigentlich los ist, aber danke.«
    »Setz dich.«
    »Ich bleibe lieber stehen.«
    »Du bist wütend. Das verstehe ich.«
    »Sie haben gesagt, mein Vater würde noch leben.«
    Die Hexe setzte sich auf die Couch, die aussah, als wäre sie schon zu Eisenhowers Zeiten reif für den Sperrmüll gewesen. Ihre langen weißen Haare fielen ihr wasserfallartig über den Rücken und berührten beinahe das Sitzkissen. Sie griff nach einem dicken alten Fotoalbum und legte es sich auf den Schoß.
    »Ich warte auf eine Antwort«, sagte ich.
    »Setz dich zu mir, Mickey.«
    »Lebt mein Vater noch?«
    »Das ist keine einfache Frage.«
    »Einfacher geht es kaum. Entweder er ist tot oder er lebt. Also?«
    »Er lebt«, sagte sie mit einem Lächeln, das irgendwie wirkte, als wäre es nicht von dieser Welt. »In dir.«
    Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie das Bedürf-nis gehabt, einer alten Frau eine runterzuhauen, aber – oh Mann – in diesem Moment hätte ich wirklich gute Lust dazu gehabt. »In mir?«
    »Ja.«
    »Was ist das hier?«, schnaubte ich. » Der König der Löwen ? Haben Sie das gemeint, als Sie gesagt haben, er würde leben?«
    »Ich habe es so gemeint, wie ich es gesagt habe.«
    »Sie haben gesagt, dass mein Vater lebt. Und jetzt erzählen Sie mir so einen esoterischen Mist von wegen, er würde in mir weiterleben.«
    Ich musste den Kopf abwenden und die Tränen wegblinzeln. Ich war am Boden zerstört und kam mir gleichzeitig so unendlich dumm vor. Eine verrückte alte Frau gibt irgendwelches wirres Zeug von sich, von dem ich eigentlich von vornherein weiß, dass es Blödsinn ist – und trotzdem habe ich mich daran festgehalten wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring. Mann, gab es überhaupt einen größeren Idioten als mich?
    »Also ist er tot«, sagte ich.
    »Menschen sterben, Mickey.«
    »Was Sie nicht sagen!«, gab ich sarkastisch zurück.
    »Du willst ein Ja oder ein Nein«, fuhr sie fort. »Aber so einfach ist es nicht. Es gibt nicht immer nur entweder oder. Schwarz oder Weiß. Es gibt auch noch die Grautöne.«
    »Es gibt Leben oder Tod«, sagte ich.
    Sie lächelte. »Was macht dich da so sicher?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
    »Wir retten, wen wir können«, sagte sie. »Wir können nicht alle retten. Das Böse existiert. Es gibt kein Oben ohne Unten, kein Rechts ohne Links – nichts Gutes ohne das Böse. Verstehst du?«
    »Nicht wirklich, nein.«
    »Dein Vater kam in dieses Haus, als er ungefähr in deinem Alter war. Es veränderte ihn. Er erkannte seine Berufung.«
    »Und die war? Für Sie zu arbeiten?«
    »Mit uns zu arbeiten«, korrigierte sie mich.
    »Und was wurde er? Ein Teil von ABEONAS ZUFLUCHT ?«
    Die Hexe antwortete nicht.
    »Hat Ihre Organisation Ashley gerettet?«
    »Nein«, sagte sie. »Das warst du.«
    Ich seufzte. »Können Sie bitte aufhören, in Rätseln zu sprechen?«
    »Es gibt ein Gleichgewicht. Es gibt immer eine Auswahlmöglichkeit. Wir retten die, die wir retten können. Das Böse bleibt. Für immer. Man kann es bekämpfen, aber niemals vollständig besiegen. Man findet sich mit den kleinen Siegen ab. Will man zu viel, verliert man alles. Aber jedes Leben zählt. Es gibt ein altes Sprichwort: ›Wer ein einziges Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.‹ Also treffen wir eine Auswahl.«
    »Eine Auswahl darüber, wer gerettet wird und wer nicht?«
    »Ja«, sagte die Hexe. »Nimm zum Beispiel Candy.«
    »Sie wissen von Candy?«, fragte ich überrascht.
    Sie machte sich nicht die Mühe zu antworten. »Hätten wir uns entschieden, ihr zu helfen, hätten wir die vielen Risiken, die damit verbunden gewesen wären, aller Wahrscheinlichkeit nach umsonst auf uns genommen. Sie besitzt keine spezielle Begabung, ist nicht besonders intelligent und hätte es nie geschafft, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Wahrscheinlich wäre sie
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