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Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Nur zu deinem Schutz (German Edition)

Titel: Nur zu deinem Schutz (German Edition)
Autoren: Harlan Coben
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wieder bei Buddy Ray oder jemand Ähnlichem gelandet.«
    »Das können Sie nicht wissen«, sagte ich.
    »Natürlich kann ich das nicht mit Bestimmtheit wissen. Aber man wägt die Chancen ab, man rettet, wen man kann, und trauert um die, die man nicht retten kann. Wenn man dieser Berufung folgt, bricht es einem jeden Tag aufs Neue das Herz. Man verbessert die Welt in kleinen Schritten, nicht in großen. Man muss sich entscheiden. Verstehst du?«
    »Entscheiden«, sagte ich.
    »Ja.«
    »So wie mein Vater sich entschieden hat, A BEONAS ZUFLUCHT zu verlassen, weil er mir dieses Leben nicht länger zumuten wollte.«
    »Richtig, er hat sich entschieden.« Die Hexe sah mich an und neigte leicht den Kopf. »Und wie hat sich seine Entscheidung ausgewirkt?«
    Ich schwieg.
    »Entscheidungen ziehen Konsequenzen nach sich«, sagte sie.
    Weil ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, blickte ich über die Schulter zurück durch das Fenster in ihrer Küche. »Sie haben einen Grabstein in Ihrem Garten.«
    Sie sagte nichts.
    »In den Stein sind die Initialen E. S. eingemeißelt«, fuhr ich fort. »Ist Elizabeth Sobek hier begraben?«
    »Lizzy«, murmelte die Hexe.
    »Verzeihung?«
    »Ihr Name war Lizzy. Sie zog es vor, Lizzy genannt zu werden.«
    »Ist sie in Ihrem Garten begraben?«
    »Setz dich, Mickey.«
    »Danke, aber ich bleibe lieber stehen. Ist Lizzy Sobek, das Mädchen, das während des Holocaust all diese Kinder gerettet hat, in Ihrem Garten begraben, ja oder nein?«
    »Ich sagte, setz dich, Mickey.« Jetzt lag ein scharfer Unterton in ihrer Stimme.
    Eine kleine Staubwolke wirbelte von der Couch auf, als ich zögernd neben der Hexe Platz nahm. Sie schob den linken Ärmel ihres Kleids hoch und hielt mir ihren Arm hin. Die Tätowierung war verblasst, aber immer noch gut lesbar:
    A30432
    Einen Augenblick lang brachte ich keinen Ton hervor. »Sie?«, sagte ich schließlich.
    Sie nickte. »Ich bin Lizzy Sobek.«
    Ich saß schweigend da, während sie das Fotoalbum aufschlug. »Du möchtest wissen, wie alles begann. Ich werde es dir erzählen. Vielleicht verstehst du anschließend auch das mit deinem Vater.«
    Sie deutete auf das erste Foto in dem Album. Es handelte sich um eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme, die vier Leute zeigte. »Das war meine Familie. Mein Vater Samuel. Meine Mutter Esther. Das da ist mein älterer Bruder Emmanuel – der mit der Fliege. Ein unglaublich hübscher Junge. Und so klug und liebenswürdig. Er war elf, als das Foto aufgenommen wurde. Ich war acht. Ich sehe glücklich aus, findest du nicht?«
    Das tat sie. Sie war ein bildschönes Mädchen gewesen.
    »Du weißt, was dann geschah«, sagte sie.
    »Der Zweite Weltkrieg.«
    »Ja. Eine Weile überlebten wir im Ghetto von Lodz in Polen. Mein Vater war ein wunderbarer Mann. Jeder liebte ihn. Er strahlte eine große Anziehungskraft aus. Dein Vater war ihm sehr ähnlich, Mickey. Aber das ist jetzt nicht wichtig. Es gelang uns ziemlich lange, der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen und uns zu verstecken. Ich werde nicht in Einzelheiten gehen. Selbst heute, nach all den Jahren, kann ich das Grauen dieser Zeit nicht fassen. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass wir eines Tages denunziert und schließlich in einem Zug nach Auschwitz deportiert wurden.«
    Auschwitz. Allein das Wort ließ mich schaudern. Ich wollte nach ihrer Hand greifen, aber die Hexe zog sie hastig weg.
    »Lass mich bitte zu Ende erzählen«, sagte sie. »Es fällt mir immer noch sehr schwer, darüber zu sprechen.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich leise.
    Sie nickte und ihr Blick schweifte wieder ins Leere. »Als ich mit meiner Familie in Auschwitz ankam, wurden wir getrennt. Später fand ich heraus, dass meine Mutter und mein Bruder Emmanuel sofort in die Gaskammer gebracht worden waren. Schon wenige Stunden nach ihrer Ankunft waren sie tot. Meinen Vater steckten sie in ein Arbeitslager. Ich wurde verschont. Ich weiß bis heute nicht, warum.«
    Sie blätterte im Album auf die nächste Seite, wo noch mehr Bilder von ihrer Familie zu sehen waren, von Esther und Emmanuel, deren Leben aus Gründen ausgelöscht wurden, die immer noch niemand begreifen konnte. Die Hexe sah sich die Fotos nicht an, sondern fixierte weiter einen unsichtbaren Punkt irgendwo in der Ferne.
    »Auch auf die Zeit im Konzentrationslager möchte ich hier nicht näher eingehen«, sagte sie, »sondern gleich sechs Wochen weiterspringen, als mein Vater und einige andere Zwangsarbeiter es schafften, die
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