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Nur Wenn Du Mich Liebst

Titel: Nur Wenn Du Mich Liebst
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rutschte und mit der Hand über ihre feuchten Beine strich, was ein Kribbeln wie einen verirrten Stromschlag bis zu ihrem Herz rasen ließ. Von nahem war er kleiner, als er auf den ersten Blick wirkte, allerdings auch muskulöser, als seine schmalen Schultern vermuten ließen. Er trug Jeans und den moosgrünen Pullover, den sie ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt hatte, weil sie fand, dass der weichere Farbton der Wolle das harte Grün seiner Augen unterstrich. Sein Haar war bis auf eine weiße Strähne nahe seiner rechten Schläfe braun und dicht. Tony erzählte jedem, dass die Strähne die Folge eines Kindheitstraumas war, wobei das Trauma sich mit jedem Erzählen veränderte, genauso wie die Erklärung für die Narbe, die sich von seinem linken Ohrläppchen bis zu seinem Unterkiefer durch seine Haut schnitt. Im Laufe ihrer elfjährigen Ehe hatte Chris so viele Versionen darüber gehört, wie er sich diese Narbe zugezogen hatte, dass sie sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte, ob sie das Ergebnis eines beinahe tödlichen Sturzes in Kindertagen, die Folge eines Autounfalls, den er wie durch ein Wunder überlebt hatte, oder das Resultat einer Kneipenschlägerei war. Sie war sich sicher, dass der wahre Grund unendlich viel prosaischer als all diese Variationen war, obwohl sie Tonys Geschichten nie in Zweifel ziehen würde. Tony brauchte das Dramatische. Er übertrieb die profanen Kleinigkeiten des Lebens, vergrößerte das Gewöhnliche und feierte das Alltägliche. Das machte ihn ja gerade so charmant und feuerte seine Kreativität an. Man konnte keine Zeitung aufschlagen, ohne eine Anzeige zu erblicken, die er gestaltet, nicht bis zur nächsten Straßenecke laufen, ohne ein Plakat zu sehen, das er entworfen hatte. Ein Werbefeldzug für Edelkatzenfutter stammte genauso von ihm wie die »Alles Käse!«-Kampagne einer Großmolkerei. War er nicht schneller als irgendjemand vor ihm zum Senior Artdirector von Warsh & Rubican aufgestiegen? Und war nicht sein natürlicher Hang zur Übertreibung zumindest ein Teil dessen gewesen, was sie zu ihm hingezogen hatte? In jenen frühen Jahren war ihr durch Tony alles so aufregend, grenzenlos und so
machbar
erschienen.
    Chris lächelte, und mehr Ermutigung brauchte er nicht. Sie beobachtete, wie er sofort weiter auf dem Bett nach oben rutschte, das Tablett behutsam auf den Boden stellte und ihre Hände ergriff.
    »Tony...«
    »Es wird nie wieder passieren, Chris.«
    »Das darf es auch nicht.«
    »Bestimmt nicht.«
    »Du hast mir Angst gemacht.«
    »Ich hab mir selbst Angst gemacht«, stimmte er ihr zu. »Ich habe diese brüllende Stimme gehört und konnte nicht glauben, dass ich das selbst war. Die schrecklichen Dinge, die ich gesagt habe...«
    »Das meine ich nicht.«
    »Ich weiß. Bitte verzeih mir.«
    Kann ich das?, fragte Chris sich. Konnte sie ihm verzeihen? »Vielleicht sollten wir es mit einer Beratung oder Therapie versuchen.« Chris hielt den Atem an und wappnete sich gegen seinen garantiert folgenden Wutausbruch. Hatte Tony seine Meinung über Eheberatung nicht schmerzhaft deutlich gemacht? Hatte er ihr nicht erklärt, dass er es bestimmt nicht zulassen würde, dass ein paar überstudierte Seelenklempner in seinem Privatleben herumpfuschten?
    »Eine Therapie wird nicht helfen«, sagte er leise.
    »Vielleicht doch. Wir könnten es zumindest probieren. Was immer auch unser Problem sein mag –«
    »Ich bin gefeuert worden!«
    »Was!« Chris war sich sicher, ihn falsch verstanden zu haben. »Wovon redest du überhaupt?«
    »Sie haben mich vor die Tür gesetzt«, sagte er, ohne das weiter auszuführen.
    Chris sah die Worte vor ihren Augen tanzen wie die Staubteilchen in der Sonne, versuchte, sie festzuhalten, bis sie ihre Bedeutung begriffen hatte, doch so leicht ließen sie sich nicht in Reih und Glied bringen. »Sie haben dich vor die Tür gesetzt?«, wiederholte sie hilflos, doch auch laut ausgesprochen ergaben die Worte nicht mehr Sinn. »Warum?«
    Tony zuckte die Achseln. »Dan Warsh meinte irgendwas davon, dass sie frische Perspektiven und neue Ideen bräuchten.«
    »Aber sie waren doch immer begeistert von deinen Ideen. Die Katzenfutterreklame, die ›Alles Käse!‹-Kampagne, ich dachte, sie wären ganz hin und weg gewesen.«
    »Waren sie auch – letztes Jahr. Jetzt haben wir 1982, Chris. Wir stecken mitten in einer größeren Rezession. Allen geht der Arsch auf Grundeis.«
    »Aber...« Chris hielt inne. Beschwerte Tony sich nicht immer darüber,
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