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Nur Wenn Du Mich Liebst

Titel: Nur Wenn Du Mich Liebst
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je ungeschminkt gesehen. Sie gestand uns, dass sie in den vier Jahren, die sie nun verheiratet war, jeden Morgen um sechs Uhr, eine halbe Stunde vor ihrem Mann, aufgestanden war, sich geduscht, geschminkt und frisiert hatte. Ron hatte sich in eine Miss Cincinnati verliebt, erklärte sie wie vor einem Kollegium aus Preisrichtern, und bloß weil sie jetzt eine Mrs. sei, gäbe ihr das nicht das Recht, sich gehen zu lassen. Selbst an Wochenenden war sie so früh auf den Beinen, dass sie auf jeden Fall hinreichend präsentabel war, bevor ihre Tochter Tracey aufwachte und gefüttert werden wollte.
    Nicht, dass Tracey große Ansprüche gestellt hätte. Laut Barbara war ihre Tochter ein in jeder Hinsicht perfektes Kind. Die einzige Schwierigkeit, die sie je mit Tracey gehabt hatte, war in den Stunden vor ihrer Geburt aufgetreten, als das gut 4000 Gramm schwere Baby, das es in sicherer Steißlage nicht besonders eilig hatte, zur Welt zu kommen, sich geweigert hatte, mit einer Drehung in die Beckenlage zu rutschen. Also musste es mit einem Kaiserschnitt geholt werden, der eine Narbe von Barbaras Bauch bis zu ihrem Schambein hinterließ. Heutzutage entscheiden sich Ärzte in der Regel für den weniger entstellenden und kosmetisch behutsameren Unterbauchquerschnitt, der weniger Muskeln in Mitleidenschaft zieht und unterhalb der Bikinilinie verborgen bleibt. Barbaras Bikinizeiten waren jedenfalls vorbei, wie sie sich wehmütig eingestand. Ein weiterer Grund, sich zu grämen, noch etwas, was die vielen Mrs. von den Miss Cincinnatis dieser Welt trennte.
    Wie majestätisch sie von ihrem Stuhl zu Boden gleitet, den Rock elegant zwischen die Knie klemmt, um ihrer achtzehn Monate alten Tochter, die sich vergeblich mit den Bauklötzen abmühte, zu zeigen, wie man einen Turm bauen kann. Wenn die Klötze auf den Boden purzeln, hebt sie sie jedes Mal geduldig auf und ermutigt Tracey, es noch einmal zu versuchen, bis sie sie schließlich selbst übereinander stapelt und immer wieder von vorn beginnt, wenn ihre Tochter den Turm versehentlich umstößt. Tracey wird jetzt jeden Moment in die schützenden Arme ihrer Mutter kriechen, die Augen schließen und einschlafen, ihr Porzellanpüppchengesicht von schwarzen Locken gerahmt, die sie von Barbara geerbt hat.
    »Es war einmal ein Mädchen klein«, kann ich Barbara sagen hören, während sich ihre Lippen auf dem Bildschirm stumm bewegen, in jenem besänftigenden Singsang, mit dem sie immer mit ihrer Tochter sprach, »das hatte hübsche Locken fein, aus glänzend schwarzem Haar. Und war sie brav, war sie sehr, sehr brav. Doch wenn sie einmal böse war –«
    »– dann war sie ganz gemein!«, quiekte Tracey fröhlich in ihrer Babysprache und riss ihre schokoladebraunen Augen auf. Und wir lachten alle.
    Barbara lachte am lautesten, obwohl sie das Gesicht dabei kaum bewegte. In panischer Angst vor drohenden Falten und mit zweiunddreißig die Älteste der Anwesenden hatte sie es zu einer Kunst entwickelt zu lachen, ohne dabei zu lächeln. Sie öffnete den Mund und stieß raue, laute Töne aus, während ihre Lippen eigenartig starr blieben und sich weder kräuselten noch verzogen. Im deutlichen Kontrast dazu lachte Chris übers ganze Gesicht, den Mund in achtloser Selbstvergessenheit verzogen, obwohl das entstehende Geräusch zart, ja beinahe zögernd klang, als wüsste sie, dass Ausgelassenheit ihren Preis hatte.
    Barbara und Chris hatten sich vor diesem Nachmittag erstaunlicherweise noch nie gesehen, obwohl wir alle seit mindestens einem Jahr in der Grand Avenue wohnten, doch sie wurden sofort beste Freundinnen, ein schlagender Beweis für das alte Sprichwort von den Gegensätzen, die sich anziehen. Neben den offenkundigen äußeren Unterschieden – blond gegenüber brünett, klein gegenüber groß, ein wie frisch gewaschen strahlendes Gesicht gegenüber künstlichem, kosmetischem Glanz – waren sie auch ihrem Wesen nach vollkommen verschieden. Doch sie ergänzten einander perfekt, Chris war weich, zurückhaltend, wo Barbara alles andere als schüchtern war. Sie wurden rasch unzertrennlich.
    Das ist Vicki, die sich ins Bild drängt und ihre Präsenz spürbar macht, wie sie es in ihrem Leben praktisch überall getan hat. Mit achtundzwanzig war Vicki die jüngste und bestimmt die erfolgreichste der Frauen. Sie war Anwältin und damals die Einzige von uns, die außer Haus arbeitete, obwohl Susan an der Universität immatrikuliert war und einen Abschluss in englischer Literatur anstrebte. Vicki
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