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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman
Autoren: Silvia Bovenschen
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ein.
    »In jedem Leben ist ein Verrat«, sagte er würdig.
    »Und worin sollte mein Verrat bestehen?«
    »Sie haben Ihre Literatur verraten«, sagte der rundliche geschminkte Herr, »und Sie haben die Liebe verraten.«
    »Das wüsste ich. Wie kommen Sie zu diesen absurden Vorwürfen?«
    »Seit zwanzig Jahren sind Sie literarisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Konnten Sie nicht, oder wollten Sie nicht?«
    »Es war mir keine Lust mehr, zu denken, dass ein anderer Mensch das, was ich da buchstabierte, lesen würde.«
    »Wovon handelt Ihr aktueller Roman?«
    »Von alten Frauen in einer Villa.«
    »Weil Sie mit dieser Alters-Thematik früher einmal Erfolg hatten?«
    »Nein, weil ich mich auskenne auf diesem Feld, ich kenne die Atmosphäre eines Lebens auf der letzten Strecke.«
    »Ich habe ein wenig in dem Roman herumgelesen.«
    »Das ist unmöglich. Er ist nicht veröffentlicht.«
    »Dergleichen spielt keine Rolle für mich. Meine Einsichten reichen exorbitant weit, auch weit hinein in Ihr Textprogramm. Das ist allenfalls ein Spaziergang. Ein kleiner Hopser nur – und schon bin ich drin. Drinnen oder draußen, privat oder öffentlich, da mache ich keine Unterschiede, da bin ich ganz auf der Höhe der Zeit. Schließlich bin ich ein Virtuose im Changieren zwischen dem Virtuellen und dem Realen.«
    Für die Virtuosität des rundlichen geschminkten Herrn interessierte sich Johanna nicht, aber es drängte sie stark zu einer Frage.
    »Und hat Ihnen mein Roman gefallen?«
    Ja, da war sie noch einmal zurückgekommen, für einen kurzen Moment, die so ganz weltliche Autoreneitelkeit. Eine leichte Röte überzog das faltige Gesicht von Johanna.
    »Ihr Roman ist gar nicht so übel«, sagte der rundliche geschminkte Herr, der jetzt wieder ganz proper aussah, »aber Sie hätten sich und Ihre kaum verfremdeten Mitbewohnerinnen liebevoller zeichnen können.«
    »Sie waren nicht liebevoll. Ich am wenigsten.«
    »Deshalb ist hier von Verrat die Rede. Dieser Mangel bringt mich zu meiner nächsten Frage: Warum sind Sie dem Mann, den Sie liebten, dem einzigen, den sie wirklich je liebten, nicht gefolgt?«
    »Erstens geht Sie das nichts an! Und zweitens: Mit meiner Literatur hat das gar nichts zu tun. Gar nichts! Überdies: Ich kann mich nicht erinnern, eine Happy-End-Literatur geschrieben zu haben.«
    »Das meine ich nicht. Wenn ich es richtig sehe, sollte Ihre Literatur die Mauern der Denk- und Fühlgefängnisse einer zeitgenössischen Kultur sprengen. Ein nicht nur ästhetischer Aufbruch ins Undenkbare. Und schon bei der ersten Turbulenz in Ihrem Leben schmiegten Sie sich an die Konvention. Gingen den leichten Weg, blieben beim ungeliebten Ehemann und in der Hautevolee.«
    »Das ist ja ekelhaft, wie Sie Leben und Werk ineinander verpantschen. Sie gehören offensichtlich auch zu diesen Idioten, die jede hohe Poesie in die biographistischen Niederungen zwingen und auf die Banalitäten der Lebensläufe verpflichten.«
    »Sie sollten mich nicht so unterschätzen. Das können Sie sich nicht mehr leisten. Im Übrigen, ich bin nicht hier, um mit Ihnen über Literatur zu disputieren.«
    »Und ich habe es nicht nötig, mich beschimpfen zu lassen. Ich bin eine alte kranke Frau.«
    »Und unsern kranken Nachbarn auch«, murmelte das kleine Mädchen.
    »Jammern steht Ihnen nicht«, sagte der rundliche geschminkte Herr.
    »Sonst noch was?«, sagte Johanna.
    »Sie sind auf das Bild, das Sie selbst von sich schufen, hereingefallen: die knurrige Alte, die das Urteil der Welt nicht mehr braucht.«
    »Ich scheiß auf das Urteil der Welt.«
    »Das sah aber eben, als Sie mich um ein Urteil über Ihren Roman baten, ganz anders aus.«
    »Ein kleiner Rückfall.«
    »Worauf es ankommt: Auf die Welt konnten Sie scheißen, darunter versteht sowieso jeder etwas anderes, aber nicht auf Ihre Welt, die Welt dieser Villa.«
    »Sie hatte mich nicht mehr interessiert.«
    »In jedem Leben ist ein Mangel«, verkündete der Schwan hochnäsig.
    »Ja«, sagte Johanna, »da ist was dran.«
    »Sie gestehen Ihre Lieblosigkeit also ein«, sagte der rundliche geschminkte Herr.
    »Ja, und sie tut mir leid. Aber erst seit ein paar Stunden.«
    »Ich glaube, Sie tapsten schon früher aus der Kältezone. Ihre Unerhört-Torpedos hatten, bei genauer Wahrnehmung, in letzter Zeit an Kraft verloren.«
    »Mag sein«, Johanna war müde. Sehr müde.
    »Ich bin müde«, sagte sie, »sehr müde.«
    »Aber hallo, nicht verzagen. Sie wurden ja erhört, meine Anwesenheit bezeugt es doch.«
    Und
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