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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch
Autoren: Mitch Albom
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mein Vater.
    »Schau«, sagte er schließlich und atmete hörbar aus, »ich hab diese Chance für dich gedeichselt. Willst du sie nun oder nicht?«
    Sein Tonfall hatte sich verändert; der Kämpfer wurde wütend, ballte die Fäuste. Er hatte mein jetziges Leben so rasch vom Tisch gewischt, wie ich selbst es gerne getan hätte. Das veranlasste mich zum Zurückweichen, und wenn man zurückweicht, hat man den Kampf unweigerlich verloren, so viel steht fest.
    »Beweg deinen Hintern hierher, okay?«, sagte er.
    »Mama feiert ihren Geburtstag.«
    »Morgen nicht mehr.«
    Wenn ich an dieses Gespräch zurückdenke, fallen mir auch all die Fragen wieder ein, die ich gerne gestellt hätte. Interessierte mein Vater sich auch nur einen Deut dafür, dass seine Exfrau Geburtstag hatte? Hätte er gerne gewusst, wie es ihr ging? Welche Gäste gekommen waren? Wie das Haus aussah? Ob sie jemals an ihn dachte? Liebevoll? Verbittert? Oder gar nicht?
    Ich wünschte, ich hätte ihm all diese Fragen damals gestellt. Stattdessen sagte ich, ich würde zurückrufen, und legte auf. Dann dachte ich über diese Chance nach, die mein Vater für mich »gedeichselt« hatte.
    Ich dachte daran, während meine Mutter die Vanilletorte aufschnitt und die Stücke auf Pappteller platzierte. Ich dachte daran, während sie ihre Geschenke öffnete. Ich dachte daran, während Catherine, Maria und ich uns zu ihr stellten, um mit ihr fotografiert zu werden – Maria jetzt mit violettem Lidschatten -, und Edith, eine Freundin meiner Mutter, die Kamera hochhielt und sagte: » Eins, zwei ... ach, wartet mal, ich weiß nie, wie dieses Ding funktioniert.«
    Und während ich mit gezwungenem Lächeln dastand, stellte ich mir meinen Swing vor.
    Ich gab mir Mühe, mich zu konzentrieren. Ich gab mir Mühe, teilzuhaben am Geburtstagsfest meiner Mutter. Doch mein Vater, ein Dieb in vielerlei Hinsicht, hatte mich auch meiner Konzentration beraubt. Noch bevor die Pappteller im Abfall landeten, war ich im Keller verschwunden, telefonierte und buchte den letzten Flieger an diesem Abend.
    Meine Mutter begann ihre Sätze früher häufig mit den Worten »Sei ein lieber Junge«, wie in »Sei ein lieber Junge und bring den Müll raus...« oder »Sei ein lieber Junge und geh rasch zum Laden...« Doch nach diesem Anruf gab der liebe Junge, der ich zu Beginn des Festes gewesen war, Fersengeld, und ein ganz anderer Junge trat an seine Stelle.
     
     
    Ich musste alle Anwesenden belügen. Was mir nicht schwerfiel. Ich trug einen Piepser für die Arbeit und rief ihn vom Telefon im Keller an, dann lief ich rasch nach oben. Als ich mit Catherine zusammenstand und der Piepser sich meldete, tat ich verärgert und grummelte etwas von »stören mich sogar am Samstag«.
    Dann gab ich vor zurückzurufen, heuchelte Bedauern und erfand eine Geschichte über einen Kunden, den ich nur sonntags besuchen könne, was für ein Ärger.
    »Kann das denn nicht warten?«, fragte meine Mutter.
    »Ich weiß, es ist geradezu lächerlich«, sagte ich.
    »Aber wir wollten morgen noch zusammen brunchen.«
    »Was soll ich denn machen?«
    »Kannst du sie nicht noch mal anrufen?«
    »Nein, Mama«, fauchte ich, »kann ich nicht.«
    Sie blickte zu Boden. Ich atmete gereizt aus. Je vehementer man eine Lüge verteidigt, desto wütender wird man.
    Eine Stunde später fuhr ein Taxi vor. Ich packte meine Tasche und umarmte Catherine und Maria, die gezwungen lächelten, aber dabei beunruhigt die Stirn runzelten. Dann rief ich einen Abschiedsgruß in die Menge, und die Gäste riefen zurück: »Tschüs... bis bald... viel Glück...«
    Die Stimme meiner Mutter hörte ich zuletzt noch, über den anderen: »Ich hab dich lieb, Char -«
    Mitten im Wort fiel die Autotür zu.
    Damals sah ich sie zum letzten Mal.

Als meine Mutter sich für mich einsetzte
    »Aber weißt du denn, wie man ein Restaurant betreibt?«, fragt meine Frau.
    »Es ist eine Sportbar«, erwidere ich.
    Wir sitzen am Esstisch. Meine Mutter ist auch da und macht das Guck-guck-Spiel mit der kleinen Maria. Nachdem ich mit dem Baseball aufgehört habe, hat mir ein Freund angeboten, mit ihm in dieses Projekt einzusteigen.
    »Aber ist das nicht sehr schwer, eine Bar zu betreiben?«, fragt Catherine. »Gibt es da nicht vieles, was man wissen muss?«
    »Er kennt sich mit allem aus«, antworte ich.
    »Was meinst du, Mama?«, sagt Catherine zu meiner Mutter.
    Meine Mutter nimmt Marias Händchen und schwenkt sie auf und ab.
    »Müsstest du abends arbeiten, Charley?«, fragt
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