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Nur einen Tag noch

Titel: Nur einen Tag noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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hoch, damit alle sie sehen konnten, und pustete dann dem Gratulanten einen Kuss zu: » Mmmwah !«
    Irgendwann nach dem Vorlesen der Karten, aber noch vor dem Auspacken der Geschenke und der Torte, klingelte das Telefon. Es klingelte immer lange bei meiner Mutter, denn sie hatte es nie eilig abzunehmen; vorher staubsaugte sie erst noch die letzte Ecke zu Ende oder putzte das letzte Fenster, als sei das Telefon erst dann wichtig, wenn man es abnahm.
    Da niemand Anstalten machte dranzugehen, tat ich es.
    Und wenn ich im Nachhinein noch etwas ändern könnte in meinem Leben, würde ich es klingeln lassen.
     
     
    »Hallo?«, schrie ich über den Tumult hinweg.
    Meine Mutter hatte noch immer ihr pastellfarbenes Telefon aus den fünfziger Jahren. Das Kabel war sechs Meter lang, weil sie gerne herumlief, während sie sprach.
    »Hallo?«, sagte ich noch mal und presste den Hörer ans Ohr.
    »Ha-llooo?«
    Ich wollte gerade auflegen, als sich am anderen Ende ein Mann räusperte.
    Und mein Vater sagte: »Chick? Bist du das?«
     
     
    Zuerst sagte ich nichts. Es hatte mir die Sprache verschlagen. Meine Mutter hatte zwar ihre Telefonnummer nie geändert, aber trotzdem war es unfassbar, dass mein Vater hier anrief. Er war so unvermittelt von hier verschwunden und hatte so viel Verwüstung hinterlassen, dass er mir vorkam wie ein Mann, der in ein brennendes Haus zurückkehrt.
    »Ja, ich bin es«, flüsterte ich.
    »Ich habe versucht, dich zu finden. Ich habe bei dir zu Hause und im Büro angerufen. Dann dachte ich mir, du könntest vielleicht hier sein.«
    »Mama hat heute Geburtstag.«
    »Ach ja, stimmt«, sagte er.
    »Möchtest du mit ihr sprechen?«
    Der Satz war mir so herausgerutscht. Ich spürte förmlich, wie mein Vater die Augen verdrehte.
    »Chick, ich habe mit Pete Garner geredet.«
    »Pete Garner?«
    »Von den Pirates.«
    »Ja und?«
    Ich nahm das Telefon und ging auf Abstand zu den Gästen. Ich hielt die Hand vor die Muschel und warf einen Blick auf zwei alte Damen, die auf der Couch saßen und von Papptellern Tunfischsalat aßen.
    »Die haben doch dieses Old-Timers-Spiel«, sagte mein Vater. »Und Pete hat mir erzählt, dass Freddie Gonzalez abgesprungen ist. Irgendein Mist mit seinen Papieren.«
    »Ich verstehe nicht, was -«
    »Es ist zu spät, sie können nicht mehr lange nach einem Ersatzmann suchen. Deshalb sag ich zu Pete: ›Hey, Chick könnte einspringen.‹«
    »Dad, das kann ich nicht.«
    »Könntest du schon. Er weiß ja nicht, dass du was anderes machst.«
    »Bei einem Old-Timers-Spiel?«
    »Sagt er also: ›Ach ja? Chick?‹ Und ich sage: ›Ist auch gut in Form.‹«
    »Dad!«
    »Und Pete sagt -«
    »Dad!«
    Ich wusste, worauf das hinauslief. Ich wusste es auf Anhieb. Es gab nur einen Menschen, dem es noch schwerer fiel, meine Karriere als Profibaseballspieler aufzugeben, als mir: meinen Vater.
    »Pete sagt, sie setzen dich auf die Spielerliste. Du musst nur -«
    »Dad, ich habe nur sechs Wochen -«
    »Komm her.«
    »... bei den Profis gespielt.«
    »Gegen zehn.«
    »Ich habe nur -«
    »Und dann -«
    »Man kann nicht an einem Old-Timers-Spiel teilnehmen, wenn man nicht -«
    »Wo liegt dein Problem, Chick?«
    Ich hasse diese Frage. Wo liegt dein Problem ? Darauf gibt es keine sinnvolle Antwort außer: »Ich habe kein Problem.« Was gewiss nicht stimmte.
    Ich seufzte. »Sie haben gesagt, sie setzen mich auf die Spielerliste?«
    »Ganz genau.«
    »Und ich soll spielen?«
    »Bist du taub? Das sag ich doch die ganze Zeit.«
    »Und wann soll das sein?«
    »Morgen. Die Verbandsbosse werden da sein und -«
    »Morgen, Dad?«
    »Ja, morgen. Und?«
    »Es ist schon fast drei.«
    »Du sitzt auf der Spielerbank. Du triffst die Typen, kommst mit denen ins Gespräch.«
    »Wen treffe ich?«
    »Na, wer eben da ist. Anderson. Molina. Mike Junez, den Trainer, diesen kahlköpfigen Typen. Man redet ein paar Worte, und eins kommt zum anderen.«
    »Was?«
    »Es ergibt sich etwas. Ein Job als Trainer. Als Schlagtrainer. Oder was bei den Amateuren. Du kriegst einen Fuß in die Tür -«
    »Und wieso sollten die Interesse an mir haben?«
    »So laufen diese Sachen -«
    »Ich habe seit Jahren keinen Schläger mehr angefasst.«
    »So laufen diese Sachen aber, Chick. Man kriegt einen Fuß in die Tür -«
    »Aber ich -«
    »Es kommt darauf an, dass man die richtigen Leute kennt, um an so einen Job ranzukommen.«
    »Dad! Ich habe einen Job.«
    Schweigen trat ein. Ich kenne keinen anderen Mann, der mit Schweigen so verletzen kann wie

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