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Noware (German Edition)

Noware (German Edition)

Titel: Noware (German Edition)
Autoren: Uwe Post
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Der Wind frischte auf, durchstreifte
die Häuserschlucht, als wolle er uns eiskalt aus der Realität
wischen.
    »Der Plan«,
begann Agnes, »ist offensichtlich. Unsere schöne Spaßgesellschaft
des 21. Jahrhunderts basiert auf Kommunikation. Auf elektronischer Kommunikation. Wusstest du, dass schnöde Telefongespräche heute zu
über 90 Prozent über Computernetze laufen? Über das Internet?
Dasselbe gilt für Börsengeschäfte, die Fahrpläne der Bahn und
jeden anderen Scheiß. Das Netz ist unser aller Nervensystem. Und sie
haben es kaputt gebombt.«
    »Wer?«
    Agnes gestikulierte mit dem
Arm, über den sie ihre Handtasche trug. »Die Illuminati, die
Templer, die Juden, die Nazis. Keine Ahnung.«
    Ich fragte mich, ob sie
psychiatrische Behandlung brauchte. Dann tauchte tatsächlich ein
Taxi auf, das uns zum Medienhafen fuhr. Wir kamen sogar recht günstig
davon. Der Fahrer hörte sich geduldig an, wie Agnes ihm erklärte,
dass sich unsere Zivilisation in einer Anarchiephase befand, auf die
zwangsläufig ein neues Mittelalter folgte, schaltete das Taxameter
ab und kassierte 50 Euro in die eigene Tasche.
    Es stellte sich heraus, dass
sich Agnes Arbeitsplatz wenige Meter von meinem eigenen entfernt
befand. Vor dem Eingang zu Agnes Firma stand eine Menschentraube und
rauchte. »Warte bitte einen Moment«, sagte Agnes und gesellte sich
zu ihren Kollegen.
    Unterdessen prüfte ich erneut
mein Handy – natürlich immer noch kein Netz. Auch der Mobilfunk
war auf funktionierende Computernetze angewiesen. Genau wie das
nagelneue, zentrale Gesundheitssystem, die Verkehrsflussregelung und
– mein Blick fiel auf die nächste Hausecke – Überwachungskameras
vermutlich auch.
    Bye bye, online-Games. Ciao,
Pizza-Bringdienst. Auf Nimmerwiedersehen, unbegrenzte Film-Downloads.
Sicher konnte alles repariert werden. Aber es würde eine Weile
dauern, da man den Reparaturtrupp nicht mal eben telefonisch
heranzitieren konnte. Meine Hand in der Jackentasche ballte sich zur
Faust. Irgendjemand hatte unsere Gesellschaft um Jahrzehnte zurück
gebombt. Wenn ich den oder die erwischen würde ...
    Dann würde ich weglaufen, weil
ich ein Schwächling war.
    Agnes kam zurück und zeigte
mit dem Daumen dahin, wo sie hergekommen war. »Wir streiken.«
    »Gegen die Anarchie?«
    »Nein, für Rauchen am
Arbeitsplatz. Die Kollegen sind ausgeflippt.«
    »Scheint mir auch so.«
    »Sind deine Kollegen
vernünftiger?«
    Ich überlegte kurz. »Glaube
ich nicht. Aber wir können nachsehen.« Vage zeigte ich ein paar
Häuser weiter. Agnes nickte.
    Meine Kollegen standen nicht
vor der Tür, sondern saßen auf den Tischen im Aufenthaltsraum,
genannt »Bistro«.
    »Mann!«, wurde ich begrüßt.
    »Das ist Agnes«, sagte ich.
    »Geil«, kommentierte Alexej,
unser russisch-stämmiger Systemadministrator. Er hielt mir eine
Flasche Sekt hin. »Haben wir gefunden.«
    »Gibt's etwa was zu feiern?«,
fragte ich und nahm die Flasche.
    »Klar«, kicherte Rolf, mein
Kollege aus der Datenbankabteilung. »Wir feiern das Ende der Spam,
Viren und Nigeria-Mails. Ist das nichts?«
    »Das ist den einen oder
anderen Kater wert«, entgegnete ich mit einem Seitenblick Richtung
Agnes.
    »Dummerweise«, meinte Alexej
und rülpste, »fragen wir uns, woran wir uns jetzt aufgeilen sollen,
wo wir keine Pornos mehr aus dem Internet ziehen können.« Sein
Blick zog Agnes den Rock runter.
    »Geil!«, schrie plötzlich
Achmed, der sich einen Stoffpanda ans Ohr drückte.
    »Das ist ein Radio«,
flüsterte ich Agnes zu, als alle den jungen Programmierer fixierten.
    »In Russland«, rief er, um
das Murmeln zu übertönen, »hat eine Militärjunta den Notstand
ausgerufen.«
    »Gute Gelegenheit, um die
Diktatur wieder einzuführen«, zischte Rolf, und mit einem Brüllen
stürzte sich Alexej auf ihn. Mit vereinten Kräften werden die
Streithähne auseinander gebracht und mit zusätzlichem Sekt
ruhiggestellt.
    »Ich nehme an, das Internet
geht nicht, und an Arbeiten ist heute nicht zu denken?«
    »Lies erstmal die letzte
Mail«, sagte Rolf und drückte mir einen zusammengefalteten Ausdruck
in die Hand.
    Ich überflog den Text, Agnes
sah mir über die Schulter.
    »Fünfte Republik ausgerufen«,
las ich laut vor und war baff, woraufhin Agnes in Gelächter
ausbrach.

    *
    »Ich fand die Details in
Spielen wie Civilization unbefriedigend«, sagt King Long und zieht
an einem Strohhalm. Krimhild lehnt in der Ecke und streichelt
zärtlich den Lauf seiner Maschinenpistole. Sein Gesicht wirkt, als
würde er
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