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Novemberasche

Titel: Novemberasche
Autoren: dtv
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worden war und in dessen Mund ein Zettel steckte. Mit was für einer Geschichte hatten sie
     es hier zu tun?
     
    ☺
     
    ER sagt, wir müssen etwas tun, wir dürfen nicht zulassen, dass alles untergeht, dass unsere schöne Heimat im Dreck versinkt.
     Und irgendwie hat ER recht.

In Marmorsälen
    Die Jugendlichen richten sich weder nach den sogenannten »traditionellen« Werten, wie Treue, Pflichtgefühl etc.; noch haben
     sie »modernere« Werte umfassend an deren Stelle gesetzt (…). Vielmehr mixen sich die Jugendlichen einen »Wertecocktail« aus
     unterschiedlichen Werten, welche am besten zu ihren individuellen Plänen zur Lebensgestaltung zu passen scheinen.
    (Prof. Dr.   Mathias Albert: Jugend ohne Perspektive? –
    »Alte« Werte und »neuer« Generationenkonflikt.
    Das Familienhandbuch des
    Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP),
    www.familienhandbuch.de, 4.   9.   2007)
     
    Später konnte Paula sich nicht erinnern, wie sie die Zeit danach durchgestanden hatte. Die Tage nach dem Sprung. Irgendwie
     war sie nach Ulm gekommen, ach ja, Andreas hatte sie gefahren, um dort mit den Polizisten zu sprechen. Sie hatte Erik identifiziert.
     Nein, nicht daran denken, fort mit diesen Gedanken! Sie hatte es den Kindern gesagt, mit Hilfe von Andreas und Marie. Sie
     wusste nicht, was sie erwartet hatte, Schreien und Toben, Weinen, Schluchzen. Aber nichts von alledem hatte sich ereignet.
     Die Kinder hatten seltsam gefasst reagiert. Zwei blasse schmale Kindersoldaten, war es ihr durch den Kopf geschossen. Annahatte sie angeschaut, aus großen kugelrunden Augen, aus denen keine Träne fiel, nur die Kleine, Leni, hatte ein wenig geweint,
     Marie hatte sie in den Arm genommen, sie gehalten und auf sie eingeredet, beruhigende Worte gemurmelt, sinnlose beruhigende
     Worte, die für sie, Paula, ohne Bedeutung geblieben waren. Etwas später hatten die Mädchen sich im Wohnzimmer vor dem Kamin
     niedergelassen, in ihren Kisten mit den Barbiesachen gewühlt, ein Haus für die Puppen eingerichtet und mit dem rosa Barbiemobil
     eine Runde durchs Zimmer gedreht. Paula hatte einfach nur dagesessen, auf dem geschmackvollen beigen Sofa in dem geschmackvoll
     eingerichteten Wohnzimmer mit dem Boden aus Carrara-Marmor und hatte abwechselnd von einem Kindergesicht zum anderen und durch
     die großen Fenstertüren in den parkähnlichen Garten geschaut, auf die sorgfältig zurechtgestutzten Besenbäumchen, an denen
     unzählige Lichtchen funkelten. Sie hatte den Totensonntag nicht abgewartet. Mit ihrer Adventsdekoration. Hatte es nicht erwarten
     können, die kleinen Lichter im Garten zu sehen. Und nun war Erik tot.
    Sie erinnerte sich nicht mehr, wie sie an jenem Abend ins Bett gelangt war, was mit den Kindern geschehen war. Das Einzige,
     woran sie sich wirklich erinnerte, war das Nichts. Wie sie am nächsten Tag aufgewacht war und das dicke graue Licht durch
     den Spalt zwischen den Vorhängen in Maries Wohnzimmer gesickert war. Wo sie auf dem Sofa in einen von albtraumhaften Bildern
     zerrissenen Schlaf gesunken war. Sie hatte zugesehen, wie dieser Spalt heller geworden war, wie er angefangen hatte zu leuchten.
     Wie der Spalt zwischen den beiden Flügeln einer Tür, die in den Himmel führt, hatte sie gedacht, sich aber nicht mehr erinnern
     können, warum sie das so traurig machte, so unendlich traurig und müde. Irgendwann hatten sie und Marie die Kinder von der
     Freundin abgeholt, bei der sieübernachtet hatten. Die Mutter der Freundin hatte etwas zu ihr und zu den Kindern gesagt, das sie nicht verstanden hatte,
     weil es keine Bedeutung für sie gehabt hatte. Dann waren sie nach Hause gefahren, in ihr Haus, Marie und die Kinder und sie.
     In dieses Haus, in dem jetzt nur noch drei Menschen lebten. Da waren’s nur noch drei, hatte sie gedacht und nichts anderes
     mehr denken können. Frau Traubinger, ihre Perle seit nunmehr sechs Jahren, war gekommen und hatte versucht, sie aus ihrem
     Kokon herauszuholen, aber Paula hatte die Haushälterin nur stumm und ausdruckslos angesehen. Warum wollte diese Frau, dass
     sie aufstand? An der Schlafzimmertür hatten die Kinder gestanden, schmal und sehr gerade, und wieder hatten sie ihre kleinen
     Soldatengesichter aufgehabt. Aber gesprochen hatten sie nicht.
     
    *
     
    Das Haus der Martìns war ein Palast aus Eis. Wo er hinsah Stein, Stahl und Glas. Während Sommerkorn im Wohnzimmer auf die
     Eltern des Jungen wartete, fror er, obgleich es in dem Raum warm war. Er trat an die
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