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Novemberasche

Titel: Novemberasche
Autoren: dtv
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Größe einer bescheideneren
     Kinoleinwand befestigt. An einer anderen Wand hing ein etwa zwei mal drei Meter großes Bild, das Paula sicher als avantgardistisch
     oder sonstwie bezeichnet hätte, bei dem Sommerkorn jedoch nur der Begriff »grau« einfiel. Das Auffälligste war, dass weit
     und breit kein persönlicher Gegenstand zu entdecken war. Keine Vase, kein Nippes, kein Buch. Nichts. Sommerkorn räusperte
     sich.
    »Ich muss Ihnen einige Fragen stellen und würde mir auch gerne Leanders Zimmer ansehen.«
    Die Frau nickte abwesend, Martìn erwiderte Sommerkorns Blick mit der ihm eigenen Undurchdringlichkeit.
    »Hatte Ihr Sohn mit jemandem Schwierigkeiten, vielleicht Streit?«
    Martìn zögerte. »Nein.«
    »Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn ich mir zuerst das Zimmer ansehe.«
    Sommerkorn folgte Martìn auf eine verglaste, lichtdurchflutete Galerie, die zu einer Treppe nach unten führte. Vor einer Tür
     im unteren Stock blieb Martìn stehen. Offenbar wollte er etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders und öffnete die Tür.
    Sommerkorn wusste nicht, was er erwartet hatte, ob er überhaupt etwas erwartet hatte, und falls ja, dann am ehesten wahrscheinlich
     das übliche Chaos aus Postern, Verstärkern, elektronischem Schnickschnack und CDs, das männliche Pubertierende gewöhnlich
     um sich herumdrapierten. Auf jeden Fall nicht ein solches Zimmer. Nicht diese mustergültige Ordnung.
    »Haben Sie das Zimmer in letzter Zeit verändert?«
    Martìn zuckte mit den Achseln und sagte: »So sieht es   … sah es immer aus.«
    »Es ist ungewöhnlich ordentlich für das Zimmer eines Siebzehnjährigen.«
    »Das mag sein.«
    Sommerkorn ließ den Blick über die Möbel streifen. An der Fensterfront stand ein massiver Schreibtisch aus dunklem Holz, wie
     er vor fünfzig Jahren im Arbeitszimmer eines wohlhabenden Schuhfabrikanten gestanden haben mochte, darauf lagen ein Füller
     und ein Stapel weißes Papier. Irgendetwas fehlt hier, dachte Sommerkorn. Noch einmal ließ er den Blick schweifen.
    »Hatte Ihr Sohn keinen Computer?«
    »Doch, einen Laptop.« Martìn tat ein paar Schritte auf den Schreibtisch zu und zog die Schubladen eine nach der anderen auf.
    »Eigentlich müsste das Notebook hier sein   …«
    »Wie sieht es aus, dieses Notebook?«
    »Es ist ein Apple MacBook, ziemlich neu. Silbergrau, eines von diesen flachen Dingern, die kennen Sie sicher   …«
    Sommerkorn machte sich Notizen.
    »Wissen Sie, ob sonst noch etwas fehlt?«, fragte er.
    Martìn warf einen Blick in den Raum. Zum ersten Mal wirkte er ratlos, beinahe verloren.
    »Nein. Sonst fehlt nichts.«
    Gegenüber dem Bett befand sich eine Schrankwand mit Schiebetüren, die Sommerkorn aufschob; auch hier eine soldatische Ordnung.
     Das Einzige, was ein wenig Aufschluss über die Vorlieben des Bewohners geben konnte, waren die über dem Bett angebrachten,
     säuberlich gerahmten Fotos, viele von Panzern und Jagdflugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg. Auf einigen erkannte Sommerkorn
     Leander.
    Das Zimmer war riesig für ein Jugendzimmer, es hatteetwa vierzig Quadratmeter. So hatte links des Eingangs eine altmodische Sitzgruppe aus dunklem Leder Platz. An der Wand über
     dem Sofa hing eine historische Deutschlandkarte.
    In die Stille hinein sagte Martìn: »Leander hat sich sehr für Geschichte interessiert. Speziell für den Zweiten Weltkrieg.«
    »War er ein guter Schüler?«
    »Er war   …«, Martìn hielt inne, und Sommerkorn hatte den Eindruck, dass ihm die Stimme versagte. Der Mann holte tief Luft. »Leander
     war ein
ausgezeichneter
Schüler. Aber er war nicht nur Klassenbester. Er war durch und durch diszipliniert. Er war etwas ganz Besonderes.«
    Sommerkorn ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er fragte: »Und Drogen? Hatte er irgendwelche Kontakte zu Leuten, die
     Drogen nahmen?«
    »Drogen waren überhaupt kein Thema für ihn. Er hat niemals mit Drogen herumexperimentiert.«
    »Sie sind sich sehr sicher. Aber manchmal bekommt man als Vater nicht alles mit, was die Kinder so treiben.«
    »Leander hat dieses Zeug niemals selbst genommen und hatte auch nichts mit Leuten zu tun, die damit herumhantiert haben. Leander
     hat Leute verachtet, die Drogen nehmen. Oder damit handeln.«
    »Verachtet?« Ein sonderbarer Ausdruck, dachte Sommerkorn und meinte wieder, irgendetwas zu übersehen, irgendetwas nicht scharf
     stellen zu können mit seiner Linse.
    »Leander sah diese Menschen als das an, was sie letztendlich auch sind. Sicher
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