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Novemberasche

Titel: Novemberasche
Autoren: dtv
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bitte? Entschuldige, ich habe gerade   … Was sagtest du?«
    »Jeder Fallschirm ist mit einem Öffnungsautomaten ausgestattet, der in Notfällen in einer bestimmten Höhe, gewöhnlich bei
     225   Metern, automatisch den Reserveschirm öffnet.«
    »Du meinst, wenn etwas mit dem Hauptschirm nicht stimmt, gibt es immer noch einen Reserveschirm, und der öffnet sich automatisch,
     wenn der Springer ihn nicht manuell öffnet?«
    »Ja. Aber bei Erik hat dieser Sicherungsautomat aus irgendeinem Grund versagt.«
     
    *
     
    Sommerkorns Frühstück bestand aus einem Becher Kaffee, der nicht besonders gut schmeckte und den er auf der Autobahn nach
     Leutkirch trank. Er hatte eine kurze und unruhige Nacht hinter sich und würde heute etwas später zur Direktion fahren, denn
     zunächst war er mit einem von Eriks Fallschirmspringerkollegen auf dem Flugplatz verabredet. Der Mann würde ihm hoffentlich
     ein paar Fragen beantworten können.
    Das monotone Geräusch der Scheibenwischer, die alle paar Sekunden den Nieselregen von der Windschutzscheibe wischten, wirkte
     beruhigend, beinahe einschläfernd. Während die Reifen über den Asphalt zischten und die spätherbstliche Landschaft wie hinter
     einem Schleier an ihm vorüberzog, wanderten Sommerkorns Gedanken wieder zu Paula. Seine Schwester. Nie zuvor hatte er sie
     so gesehen. So matt und – apathisch. Selbst im schwachen Schimmer, den der Lichtschein aus der Küche auf ihr schlafendes Gesichtgeworfen hatte, war Sommerkorn die wächserne Blässe aufgefallen. Als sei sie selbst schon tot. Wie gut, dass Marie jetzt da
     war, dass jemand außer ihm da war, der sich um sie und die Kinder kümmern konnte.
    Über die Ausfahrt Leutkirch verließ Sommerkorn die Autobahn. Der Parkplatz des nahen Flugplatzgeländes war leer. Nur der Regen
     war zu hören, der auf den Asphalt prasselte, stetig und traurig, wie auch das ganze Gelände einen traurigen Eindruck machte.
     Sommerkorn stellte den Motor ab und stieg aus. Er tat ein paar Schritte um die Halle herum. Das Tor war geschlossen, kein
     Mensch war zu sehen. Wie ein verlassener Jahrmarkt, dachte er und setzte sich wieder in den Landrover. Nach wenigen Minuten
     war die Scheibe komplett beschlagen, und so hörte er den anderen Wagen, bevor er ihn sah. Sommerkorn kurbelte das Fenster
     hinunter und entdeckte einen Jeep, aus dem ein Mann ausstieg. Das musste er sein – Jojo.
    Die beiden Männer gaben sich schweigend die Hand, Jojo bedeutete Sommerkorn mit einer Geste, ihm zu folgen. Er sperrte die
     Halle auf und steuerte auf einen separaten Raum zu.
    »Kaffee?«
    Sommerkorn nickte. »Gern.«
    Der Mann stellte zwei Tassen in einen Automaten, ein Sirren war zu hören und kurz darauf reichte er Sommerkorn eine Brühe,
     die kaum besser schmecken würde als der Coffee-to-go von heute Morgen. Jojo tat zwei Stück Zucker in seine Tasse und lehnte
     sich an die Wand. Er blickte ausdruckslos zu Boden.
    »Wir können das alle nicht fassen. Erik war ein Profi, er hatte mehr als zweitausend Sprünge.«
    Sommerkorn nickte.
    »Ich habe keine Ahnung vom Fallschirmspringen. Über eine Sache habe ich allerdings nachgedacht: Ich weiß, dassjeder Springer einen Haupt- und einen Reserveschirm hat, und dass der Reserveschirm, wenn der Hauptschirm nicht gezogen wird,
     in einer bestimmten Höhe automatisch geöffnet wird.«
    »Korrekt. Das Cypres hat nicht ausgelöst.« Der Mann verzog keine Miene.
    »Das Cypres?«
    »Der Sicherungsautomat.«
    »Und wie kommt das?«
    »Das ist eine gute Frage, die einerseits leicht, andererseits schwer zu beantworten ist. Passen Sie auf: Jeder erfahrene Springer
     ist für seinen Sicherungsautomaten selbst verantwortlich. Bevor man springt, muss man a) kontrollieren, ob er aktiviert ist,
     und b), auf welche Höhe er eingestellt ist.«
    »Das Cypres richtet sich also nach der geografischen Höhe der Landschaft, in der gesprungen wird?«
    »Jep. – Ich kann es mir nur so erklären, dass Erik vergessen hat, das Cypres umzustellen. Denn sehen Sie: Zwei Wochen vor
     dem Sprung waren wir in Cagliari, das liegt auf nur vier Metern über dem Meeresspiegel. Wenn Erik dort gesprungen wäre, hätte
     das Cypres sicher korrekt ausgelöst.«
    »Sie glauben also, dass Erik vergessen hat, diesen Öffnungsautomaten auf die aktuelle Höhe hier in Leutkirch einzustellen?«
    Jojo nahm einen Schluck von seinem Kaffee, sah Sommerkorn kurz an und senkte wieder den Blick.
    »Kann’s mir nur so erklären. Allerdings  
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