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Notaufnahme

Notaufnahme

Titel: Notaufnahme
Autoren: Linda Fairstein
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rasiermesserscharfe Instrument über Harpers Handgelenk. Noch im selben Augenblick spritzte das Blut.
    Als ich begann, wild auf ihn einzustechen, ließ er die Telefonschnur los. Ich hielt nur einen kurzen Moment inne, um mich von dem Mundknebel zu befreien. Ich musste ihn so ernst verletzen, dass mir die Flucht aus der Wohnung gelingen würde, aber ich wusste nicht, wo ich meine Stiche am besten plazieren sollte. Als er versuchte, mit seinem Ärmel die am stärksten blutende Wunde abzubinden, holte ich aus und rammte ihm das Skalpell mehrere Male in den Oberschenkel. Während sich Harper vor Schmerz jaulend auf dem Boden wand, rannte ich zur Tür, nahm die Kette ab – wie ich es einige Minuten zuvor gerade hatte tun wollen –, stürzte hinaus auf den Gang und schlug die Tür hinter mir zu.
    Wie von Furien gehetzt trommelte ich an die wenigen anderen Wohnungstüren, die zwischen Gemmas Apartment und dem Aufzug lagen. Meine Hilferufe hallten durch den Korridor. Ich hörte, wie die Abdeckung des Spions an der Tür der Nachbarn zur Seite geschoben wurde, und begriff erst in diesem Augenblick, welchen Anblick ich bot: ein schwarzes Telefonkabel, zweimal um meinen Hals gewickelt; in der Hand den Telefonapparat, der noch mit dem Kabel verbunden war und dessen Gewicht andernfalls wahrscheinlich ausgereicht hätte, mich zu Tode zu strangulieren. Mein gelber Pulli war getränkt mit Harpers Blut und völlig aus der Form geraten, so dass eine meiner Schultern völlig bloßlag.
    In diesem Zustand würde mir kein halbwegs vernünftiger New Yorker die Tür öffnen. Aber alles, was ich wollte, war, dass die Polizei erschien. Ich hämmerte an die Tür der Nachbarn. »Lassen Sie mich rein«, brüllte ich. »Ich habe gerade einen Mann umgebracht. Ich bin verrückt. Ich bin gestern nacht aus der Stuyvesant-Psychiatrie ausgebrochen. Lassen Sie mich rein. Sofort!«
    Wie ich es erwartet hatte, entfernten sich die Person mit eiligen Schritten von der Tür, vermutlich um den Notruf zu wählen, den Portier zu alarmieren. Das Skalpell noch immer fest umklammert, ließ ich Gemmas Wohnungstür keine Sekunde aus den Augen. Fünfundvierzig Sekunden später war der Wachmann da.
    Ich wickelte das Kabel von meinem Hals, während wir auf das Eintreffen der Polizei warteten. Sie brauchten weniger als sieben Minuten. Wahrscheinlich hatte ich Glück, dass Harper nicht versucht hatte, mich an einem Wochentag während der Rushhour umzubringen, sondern an einem ruhigen Sonntagnachmittag. Sie kamen mit drei Einsatzfahrzeugen. Zwei Polizisten blieben bei mir, während die anderen vier die Tür aufbrachen und Harper bewußtlos auf dem Boden der Wohnung vorfanden.
    »Wir müssen Sie zur Untersuchung ins Krankenhaus bringen, Miss Cooper. In welches möchten Sie denn?« fragte mich einer der Cops, nachdem ich ihm erklärt hatte, wer ich war.
    »Ich fürchte, nach dem, was ich in den letzten Wochen erlebt habe, will ich in keines. Aber ich habe einen sehr guten Internisten. Am allerbesten wäre es, wenn Sie mich nach Hause bringen und mich dort vernehmen würden. Ich könnte dann auch Dr. Schrem anrufen. Ich denke, dass er in diesem Fall einen Hausbesuch macht.«
    Der Wachmann hatte unterdessen eine alte Decke geholt, die mir der Police Officer Dick Nicastro um die Schultern legte. Dann brachten sie mich nach Hause.
    Ich nahm auf dem Rücksitz Platz und ließ erschöpft den Kopf an die Scheibe sinken. Aus dem Sprechfunkgerät drangen stakkatoartig die Polizeidurchsagen – eine Vergewaltigung auf dem Dach eines Hochhauses im siebten Revier.
    »Muss an der Jahreszeit liegen, Miss Cooper.« Ich schloss die Augen, fuhr durch mein regennasses Haar und schüttelte den Kopf. » Leider ist es offenbar immer die gleiche Jahreszeit.«

28
    Am Montagmorgen fiel Battaglias Reaktion auf mein sonntägliches Rendezvous im Vergleich zu Mercers und Mikes Gardinenpredigt vom Vorabend eher harmlos aus. Als die beiden gegen sieben bei mir eingetroffen waren, hatte mein Arzt gerade die Untersuchung beendet und dokumentierte die Ergebnisse bis ins letzte Detail, da sie bei dem späteren Prozess als Beweise benötigt wurden. Er nahm den beiden das Versprechen ab, meinen Zustand nicht durch Aufregung oder emotionale Belastungen aufs Spiel zu setzen. Außerdem bestand er darauf, so lange zu bleiben, bis ich Mike und Mercer von dem Zusammentreffen mit Coleman Harper berichtet hatte, um sicher zu sein, dass ich mich nicht über Gebühr erregte.
    »Bitte kein Kreuzverhör, Gentlemen«,
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