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Nordseefluch: Kriminalroman

Nordseefluch: Kriminalroman

Titel: Nordseefluch: Kriminalroman
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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bald an den Rest der Vorgänge erinnern«, sagte Professor Loraner.
    »Aber inwieweit sind seine Aussagen gerichtlich verwendbar?«, fragte der Kommissar.
    Der Professor hob die Schultern an.
    »Das hängt davon ab, ob sein Richter mein Gutachten ernst nehmen wird. Ich werde es nach den neusten Erkenntnissen der Wissenschaft anfertigen.«
    Wir schritten wortlos durch die mit dem Sonderschlüssel zu öffnende Tür. Vor uns lag der lange Gang mit dem Muttergottesbild und den flackernden Kerzen.
    Ich dachte an meinen Kollegen Stinga, der bereits im Leid erstickt war, als er seinen robusten und widerstandsfähigen Körper einem Strick anvertraut hatte, um alles hinter sich zu lassen. Mir gelang es nicht, den kleinen tanzenden Flammen wortlos ein Gebet anzuvertrauen. Wir schritten neben dem Professor wie aufgescheuchte Hühner her.
    »Manfred kämpfte bereits mit seiner Seele im Mutterleib tapfer für sein Dasein«, sagte der Professor. »Die Abtreibungsversuche seiner unbekannten Mutter haben ihm sehr geschadet. Wissen Sie, meine Herren, ich stehe da nicht allein mit meiner Lehrmeinung. Der kleine Körper im Mutterleib will leben. Er spürt es, wenn die Mutter dagegenhandelt.«
    »Sicherlich«, antwortete Pietsch nur. Obwohl ihm nicht alles passte, was er hier hinnehmen musste, schwieg er.
    »Ob der Mensch vor seiner Geburt im Mutterleib bereits ein fühlendes Wesen ist, das mag dahingestellt sein«, sagte Ekinger. »Mich interessiert mehr, was Manfred angestellt hat, als er voll verantwortlich als Erwachsener ein kleines Mädchen umgebracht hat und vorher versucht hatte, bestialisch seinem Geschlechtstrieb nachzugehen. Seine Flucht in den Alkohol dient ihm jetzt als Ausrede.«
    »Ich werde Ihre Argumente bei der Abfassung meines Gutachtens über die Persönlichkeit des Schülers berücksichtigen«, sagte der Professor. Dann wandte er sich an mich. »Es freut mich«, sagte er, »dass ich in Ihnen, einem Pädagogen, einen Mitstreiter habe, denn Herr Pietsch und Herr Ekinger fragen mit Recht, ob der Junge in seinem Rausch nicht vorher das Mädchen entkleidet hat und erst danach in seine Traumlandschaft mit Riesen und Zwergen eindrang, um als Prinz das Dornröschen zu befreien.«
    »So ist es«, antwortete Pietsch.
    »Aber schließlich sind da noch der Staatsanwalt, der Rechtsbeistand und die Richter«, sagte Professor Loraner.
    Ich atmete tief durch. Zweifel überfielen mich. Ich musste raus aus dieser Anstalt!
    Die Nonne, die hinter dem Fenster nur ihr kleines blasses Gesicht zeigte, umgeben von den wuchtigen Flatterflügeln, schaute an uns vorbei, als wir uns von Professor Loraner verabschiedeten.
    Wir eilten unserem Wagen entgegen, waren froh über die frische Luft, die wir zwar warm, dafür aber ohne Desinfektionsgeruch einatmeten. Als Pietsch den Golf aufschloss und sich hinter das Steuer gesetzt hatte, blickte er sich um.
    »Gott sei Dank greift kein zweiter Fahrer nach dem Lenkrad«, sagte er.
    Wir verließen tief beeindruckt die Anstalt. Während wir uns in den Verkehr der Großstadt Bremen einfädelten und der Autobahnauffahrt entgegenfuhren, sagte Ekinger: »Der Besuch war nicht umsonst. Zum einen beurteile ich jetzt psychisch Kranke anders, und was den Schüler anbelangt, Manfred Kuhnert erscheint mir in einem anderen Licht.«
    »Wir müssen das Band auswerten«, sagte der Kommissar. »Es wird dringend notwendig, dass wir zu einem Ergebnis kommen.«
    »Wir können unsere Verantwortung nicht vor uns herschieben«, meinte Ekinger.
    Die Beamten setzten mich zu Hause ab.
    »Vielen Dank für Ihre Mitarbeit, Herr Färber«, sagte der Kommissar. »Sie hören von uns.« Er drückte mir die Hand.
    Ekinger klopfte mir vertraut auf die Schulter.
    »Stoff für Ihre Abendstunden, Herr Färber. Nun, Ihre Ferien nahen«, sagte er.
    Ich blickte dem Wagen nach.
    Ein wenig unzufrieden betrat ich mein Haus.
    Ich fühlte mich von den weiteren Recherchen der Beamten ausgeschlossen.

16
    Kommissar Pietsch kam vom Dienst. Er fuhr den Wagen in die Garage, stieg aus und schlug das Garagentor hinter sich zu. Er blickte in Richtung Seedeich und beobachtete für Sekunden die sich schiebenden weißen Quellwolken. Der Rasen musste geschnitten werden, doch er entschloss sich, die lästige Gartenarbeit auf den nächsten Tag zu verschieben.
    Er ging zur Haustür, schloss sie auf und rief nach seiner Frau. Sie befand sich in der Küche.
    »Wie war es?«, fragte sie.
    »Jakoba, wir könnten die Akten schließen. Nur, ich weiß nicht …«,
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