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Norderney-Bunker

Norderney-Bunker

Titel: Norderney-Bunker
Autoren: Manfred Reuter
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in den Moment hinein, nichts sollte ihn stören in diesem Augenblick, den er als so wohltuend und angenehm empfand. Das Einzige, was er hörte, war sein eigener Atem, und selbst der ging so leise, dass er hochkonzentriert sein musste, um ihn wirklich wahrzunehmen. Die Nacht hatte nach der Insel gegriffen und sie in ein schweigendes Dunkel gelegt. Besser konnte es nicht sein. Die Menschen schliefen den Schlaf der Gerechten, hinten im Osten bellte ein Hund. Das war’s denn aber auch schon. Heile Welt, dachte Winnetou. Nur schade, dass er nicht im Hotel, sondern stattdessen im Krankenhaus liegen musste. „Aber: Die Klampfe steht unversehrt neben meinem Bett, die Kopfschmerzen sind verschwunden, und schon morgen werde ich wieder im Insel-Hotel logieren. Alles ist gut. Wie wunderbar“, dachte er.
    Doch der schöne Mondschein trog. Denn das zunächst unbestimmte, dann das bestimmte, danach das ganz und gar sowie absolut sichere Gefühl, dass er auf diesen knapp zwölf Quadratmetern nicht nur seinen eigenen Atem hörte, sondern auch den eines anderen Menschen, versetzte ihn von der einen auf die andere Sekunde in Panik. Ihm lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Dumpfe Herzschläge pochten wütend gegen die Schläfen. Sein Kopf wurde heiß, der Hals zog sich zu und ihn befiel das Gefühl, dass sich eine Hand im Inneren seines Magens zu schaffen machte. Plötzlich kehrten die Kopfschmerzen zurück, und er spürte den Schmerz an der ramponierten Kinnlade so heftig, als schlage jemand mit dem Vorschlaghammer zu. Als er es endlich wagte, die Augen zu öffnen, bemerkte er als Erstes den Schatten, der sich wie eine Diagonale des Grauens im Zimmer ausgebreitet hatte. Es bestand überhaupt kein Zweifel, dass dieser Schatten aus der Ecke mit dem kleinen Tisch und dem Stuhl kam, auf dem Winnetou vor ein paar Stunden noch gesessen hatte, um sein Abendessen einzunehmen. Und noch etwas hatte sich im Krankenzimmer verändert. Es roch nach Nikotin und nach einem Eau de Toilette, das ihm noch vom Abend zuvor in der Nase lag – und an dem haftete alles Mögliche, nur keine guten Erinnerungen. Als der Schatten dann auch noch zu sprechen begann, wurde Winnetou endgültig speiübel.
    „He, Häuptling. Ich bin‘s nur, Lübbert. Tut mir leid, dass ich dich erschrecke“, hauchte der Schatten.
    Winnetou war nun dermaßen geschüttelt, dass er ein paar Tränen rausquetschen musste.
    „Du Arschloch!“, rief er dann, woraufhin sich der Schatten erhob und auf ihn zukam. Es war tatsächlich Lübbert H. Saathoff, der Auricher Computer-Fuzzi mit den weißen Augenbrauen. Als der die Hand zur Beruhigung auf seine Schulter legen wollte, zuckte Winnetou erneut zusammen, rückte mit dem ganzen Körper an die Wand und hielt den Atem an.
    Sofort zog Lübbert die Hand zurück und flüsterte: „Ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen. Ich habe dich nicht verletzen wollen. Ich war am Ende sturzbetrunken.“
    „Ich hab’s gemerkt. Was willst du hier? Ich hab dir alles gesagt. Hau ab!“
    „Ich möchte nur sagen, dass ich dir glaube, was du gesagt hast. Aber du musst auch mir glauben. Natürlich habe ich dir den Trip nach Norderney gegönnt. Aber als ich in der Zeitung las, dass ein 41-jähriger Mann in der Spielbank auf Norderney den Jackpot geknackt hat, sind die Nerven mit mir durchgegangen. Ich war mir sicher, dass du das warst.“
    „Aber das ist immer noch kein Grund, so brutal auf mich einzuschlagen.“
    „Ja. Ich weiß. Ich kann dir auch gar nicht sagen, wie leid mir das alles tut. Aber du musst wissen, dass ich am Ende bin. Meine Firma ist pleite. Runtergefahren, quasi. Ich komme aus der Nummer nicht mehr raus. Ich bin eine gescheiterte Existenz. Alles, ja alles, was ich anfasse, geht in die Hose. Andere machen aus Schei…, na, du weißt, was ich meine, Geld. Bei mir geht alles schief.“
    Jetzt setzte Lübbert sich wieder auf den Stuhl in der Ecke und schwieg einen Moment. Winnetou hatte sich mittlerweile in seinem Bett aufgerichtet, wobei sein Atem allmählich wieder halbwegs normal ging. Dann hob Lübbert, in der dunklen Zimmerecke kauernd, wieder an: „Weißt du, Häuptling. Versetze dich doch mal in meine Lage. Ich sitze zu Hause in Aurich und habe keine Ahnung, was ich mir aufs Butterbrot schmieren soll, da lese ich in der Zeitung die Sache vom Jackpot. Da dachte ich: ,Ich Blödmann. Von meinem nicht vorhandenen Geld schenke ich dem Indianer ein Los, der macht den Hauptgewinn, fährt wie ein feiner Pinkel auf die
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