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Norderney-Bunker

Norderney-Bunker

Titel: Norderney-Bunker
Autoren: Manfred Reuter
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steif. Aber offenbar wussten beide noch nicht so recht, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Besonders Winnetou überlegte immer wieder, ob er Lübbert vertrauen konnte und ob dessen Idee, die er ihm am Abend zuvor unterbreitet hatte, auch für ihn ein gutes Ende nehmen würde. Als hätten sie es eingeübt, nahm Lübbert ihm nun die Gitarre ab und schulterte sie seinerseits, damit Winnetou sich erst einmal seine Morgenzigarette wickeln konnte. Während sie dann am Café vorbei Richtung Lippestraße schlenderten, blickte Lübbert den Entlassenen von der Seite an und brach endlich das Schweigen: „Mensch, du hast dir ja Zeit gelassen. Ich warte hier seit mehr als einer Stunde. Ich dachte schon, die würden dir noch ’ne neue Kinnlade einbauen.“
    „Erzähl’ keinen Unsinn“, entgegnete Winnetou, drehte sich um und ging zielgerichtet auf die Café-Terrasse zu. „Du hast einiges gutzumachen. Das weißt du ja.“
    Lübbert nickte. Dabei sah er aus wie ein kleiner Junge, der sich fürchterlich für etwas schämte, das er zuvor angestellt hatte.
    „Also. Ich trinke Cappuccino und nehme zwei Brötchen mit Kochschinken. Und bevor du die Bestellung aufgibst, kannst du mir noch Feuer geben. Mein Fidibus ist seit vorgestern Abend spurlos verschwunden. Es soll da so eine Auseinandersetzung mit einem ehemaligen Box-Champion gegeben haben, die für mich zwischen einigen Mülltonnen in der Horizontalen endete.“
    Lübbert grinste und schnippte das Feuerzeug an. „Alles klar, großer Indianer. Aber du musst wissen, dass dein Hunger begrenzt sein sollte. Meine aktuelle Barschaft liegt bei exakt 15,40 Euro, der Überziehungskredit ist am Limit. Wie gut, dass ich ein Rückfahrticket in der Tasche habe.“
    Als die Bedienung die Bestellung aufgenommen und Winnetou noch einmal kräftig an der Zigarette gezogen hatte, löste er mit geschickten Griffen die Bandage vom Kopf, schüttelte die schwarze Mähne und kramte das Stirnband aus der Hosentasche hervor.
    Im Radio liefen beim Norderneyer Sturmwellensender zu dieser Zeit die lokalen Nachrichten:
    „Erneuter Fehlalarm für die Freiwillige Feuerwehr Norderney“, summte Chefmoderator Flint Cassens. „Nach Auslösen der automatischen Brandmeldeanlage heute Morgen um 7.10 Uhr in der Kurklinik Maria am Meer war zunächst mit einem Großbrand gerechnet worden. Als die Kameraden dann vor Ort eintrafen, machten sie die unsachgemäße Anwendung eines Föns in Verbindung mit dem Aufbringen von Haarspray als Ursache für das Auslösen der Anlage aus. 26 Feuerwehr-Kameraden waren im Einsatz, der bereits nach fünf Minuten beendet war.“
    Lübbert und Winnetou warfen sich einen gedehnten Blick zu und grinsten. Dann pulte Lübbert kopfschüttelnd eine Zigarette aus der Reval-Packung. Winnetou begann damit, „Ring of Fire“ von Johnny Cash zu summen. Dabei konzentrierte er sich auch wieder auf sein Stirnband, das er mit ein paar geschickten Handbewegungen um den knorrigen Schädel spannte, als eine schwarze Limousine mit zwei blitzenden Auspuffrohren, getönten Scheiben, verchromten Zierleisten und überdimensionierten Alufelgen um die Ecke bog und vor dem Café parkte.
    Fehlt nur noch Blaulicht, dachte Winnetou, während es aus Lübbert hemmungslos und bis an die Nachbartische hörbar herausbrach:
    „Achtung, gleich steigt der Bundespräsident aus. Fertigmachen zur Nationalhymne!“
    Als sich die Fahrertür öffnete, legte sich urplötzlich ein nicht näher definierbares Schweigen über den nördlichen Teil der Lippestraße. Selbst Radio-Mann Flint Cassens schien seine Nachrichten zu unterbrechen, als der hoch aufgeschossene Mann mit den grauen Schläfen, dem blütenweißen, auf Taille geschnittenen Hemd, dem blauen Kaschmirschal, der Edel-Jeans und den auf Hochglanz polierten und an den Seiten gelochten Slippern von Prada regelrecht aus dem Wagen schwebte.
    Natürlich war es ihm unverzüglich gelungen, seinen Dünkel wie eine Haube auf das komplette Gebiet zwischen der Einmündung Karl-Rieger-Weg und dem Strandaufgang Detmold – inklusive aller angeschlossenen Seitenstraßen – zu legen. Als er sich mit ein paar eleganten wie vollkommen unauffälligen Kopfdrehungen davon überzeugt hatte, alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben, ließ er die Wagentür dumpf ins Schloss gleiten. Doch bevor er den Autoschlüssel in der Hosentasche verschwinden ließ, galt sein ganzer Eifer der Armbanduhr, die in der Sonne glänzte wie eine Monstranz bei der Fronleichnamsprozession. Wie
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