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Norderney-Bunker

Norderney-Bunker

Titel: Norderney-Bunker
Autoren: Manfred Reuter
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vorsichtig einmassiert. Rot unterlaufen und bräunlich schimmerte die lädierte Haut darunter durch. Dort musste es am Abend zuvor ordentlich gekracht haben, überlegte der Ermittler.
    „Können Sie das Kopfteil da hinten bitte mal eben einhaken?“, fragte Winnetou stöhnend, dann atmete er tief durch und sagte: „Ich habe urplötzlich einen Schlag auf den Kopf gespürt. Mein erster Gedanke war, da will mir einer meine Gitarre klauen. Glauben Sie mir, Herr Kommissar. Ohne meine Klampfe bin ich nichts“, rief Winnetou in seiner Erregung, dass es von den kahlen Wänden bleiern zurückschallte.
    Auch Visser hob die Stimme: „Und dann?“
    „Von da an weiß ich nichts mehr. Fast nichts mehr. Ich war noch mal kurz bei Bewusstsein. Da habe ich von weit her Stimmen gehört und bemerkt, dass mein Kopf direkt neben einem Mülleimer lag. Von da an weiß ich nichts mehr. Plötzlich war ich hier. Hier in diesem Zimmer.“
    Visser erhob sich vom Stuhl. Im Krankenzimmer herrschte nun absolute Stille. Auch von draußen, aus der Nordhelm-Siedlung oder direkt unten von der Lippestraße her, drang kein Laut herauf, obwohl das Fenster auf Kipp stand. Visser zog sich die Hose, dessen Bund vom Sitzen runtergedrückt worden war, mit beiden Händen am Gürtel so gut es ging nach oben. Der überhängende Bauch bestimmte die Höhe. Dabei konnte Winnetou das Halfter und den Griff der
P 2000 sehen. Dann trat Visser vor das Fenster, schaute nach unten, wo außer zwei in sich gekehrten, schweigenden Spaziergängern tatsächlich keine Menschenseele zu sehen war, und fragte gegen die Fensterscheibe: „Aber Herr May. Das würde ja bedeuten, dass Sie die ganze Nacht und damit bis zum anderen Morgen um 7.15 Uhr leblos zwischen zwei Häusern neben Mülleimern auf dem Boden gelegen hätten?“
    Dann drehte Visser sich um und schaute den Patienten fest an. Winnetou sah, dass über dem Inselpolizisten ein überdimensionales Fragezeichen schwebte.
    „Überlegen Sie noch mal. Haben Sie Stimmen gehört, können Sie sich an Gerüche erinnern? Hatten Sie das Gefühl, verfolgt zu werden? So etwas merkt man ja manchmal auch.“
    Winnetou drückte den Kopf ins weiße Kissen. Seine Haare, die mittlerweile reichlich ungepflegt aussahen, fielen auf den kühlen Baumwollstoff. Er schloss die Augen. Als Visser sich ihm näherte, sagte er: „So sehr ich mich auch anstrenge. Ich spürte nur den Schlag und einen fürchterlichen Schmerz. Schwindel überfiel mich. Dann sank ich nieder. Ich habe nichts gehört und nichts gesehen. An Gerüche erinnern kann ich mich schon gar nicht.“
    Visser trat nun ganz nah vor Winnetous Bett und beugte sich vornüber. Der Kranke hatte die Augen geschlossen, und trotz der Aufregung wirkte sein Gesicht vollkommen entspannt. Er schien geradezu entrückt zu sein. Als er die Augen öffnete, schüttelte er sich allerdings vor Schreck. Er hatte nicht bemerkt, dass der Polizist sich ihm auf so ungewöhnlich kurze Distanz genähert hatte. Denn er schaute Visser nun aufs lediglich knapp einem halben Meter Entfernung mitten ins Gesicht. Die braunen Augen des Fahnders waren weit geöffnet, auf der Nase wuchsen feine Härchen, fast fingerdicke Furchen durchzogen die Stirn, die Krähenfüße an den Augenwinkeln zuckten nervös. Der Norderneyer Ermittler roch nach Sylter Bonbons – ziemlich streng, so streng sogar, dass Winnetou die Augen tränten.
    „Rufen Sie mich an, wenn Ihnen etwas einfällt“, raunzte Visser dann.
    Erst als er das gesagt hatte, stellte er sich wieder gerade vors Bett und griff in die linke Brusttasche, aus der er eine Visitenkarte fuchtelte. Zwischen Mittel- und Zeigefinger geklemmt schnipste er sie aus dem Handgelenk heraus aufs blütenweiße Plumeau. Dann drehte er sich auf dem Absatz und verließ das Zimmer. Die Tür zog er so fest ins Schloss, dass man es auf dem ganzen Flur hören konnte.
     

Krankenbesuch
    Als Winnetou erwachte und ihm bewusst wurde, dass es mitten in der Nacht sein musste und er sich immer noch im Nordeneyer Krankenhaus befand, blieb er zunächst für ein paar Sekunden liegen. Er bewegte sich einfach nicht. Die Augen hielt er geschlossen, und es wunderte ihn ein wenig, dass er nach all dem, was in den vergangenen Stunden geschehen war, wieder auf so schlichte Weise genießen konnte. Er fühlte sich unter der warmen Bettdecke so behaglich, dass er darauf verzichtete, auf die Uhr zu schauen und – obwohl es eigentlich dringend war – mal eben um die Ecke für kleine Jungs zu gehen. Er träumte
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