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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter
Autoren: Kerstin Michelsen
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dem Haus zu tun haben. Etwas, das hier vielleicht früher passiert ist.»
    Dass ich zuerst in meiner Vorstellung Oliver und ein Kind – unser zukünftiges? – i m Garten gesehen hatte, verschwieg ich. Ich hatte ihm nur erzählt, dass in meiner Vision ein Mann und ein Kind gewesen waren. Ob der Garten, als alles so finster wurde, immer noch der unsere gewesen war, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich vermutete es nur. Was sollte es denn sonst für einen Sinn ergeben? Die Visionen hatten bisher immer einen Bezug zu mir gehabt, mindestens zu dem Ort, an dem ich mich aufhielt. Also musste es hier sein.
    « Wie spät ist es eigentlich?», fragte ich und blickte zum Fenster. «Warum bist du schon da?»
    « Schon?»
    Oliver lachte.
    «Mein Herzchen, es ist fast sieben. Du gestattest wohl, dass ich auch irgendwann mal Feierabend mache und zu meinem holden Weib ins traute Heim zurückkehre?»
    « Ich bin nicht dein holdes Weib.»
    « Ich hätte aber gern, dass du es wärest.»
    « Oh.»
    Wir sahen uns an. Na toll, dachte ich, ich liege in meinen dreckigen Arbeitsklamotten auf dem Bett . Vermutlich waren meine Augen noch rot vom Weinen und dazu effektvoll von dunklen Augenringen umrahmt – und er machte mir einen Antrag? Ausgerechnet jetzt?
    Oliver lächelte mich an und ließ sich vor der Bettkante auf die Knie sinken. Er ergriff meine rechte Hand. Die hatte auch schon mal besser ausgesehen, nicht so rissig, rau und grau vom Staub.
    « Nora, willst du mich heiraten?»
    «Ja.»
    «Willst du mit mir unter die Dusche gehen?»
    « Ja.»
    Wir duschten ausgiebig. Danach waren wir beide sehr sauber und sehr hungrig. Wir zogen uns an und schlenderten Hand in Hand zum Altensteiner Dorfkrug, wo wir uns herrlich fettige und knusprige Bratkartoffeln einverleibten.
    M eine Visionen ließen wir für den Rest des Abends unerwähnt. Das war mir recht, ich hatte keine Lust, noch weiter darüber zu reden. Nicht heute, dachte ich, und aß meinen Teller bis zum letzten Bissen leer. Ich war glücklich. Nicht, dass ein Trauschein etwas zwischen uns ändern würde. Oder vielleicht doch? Andererseits wusste ich ja aus der Erfahrung mit Daniel, dass die Heirat alles andere als eine Garantie dafür war, dass eine Beziehung halten würde. Trotzdem meinte ich, dass es sich mit Oliver anders anfühlte. Aber vielleicht dachte man das immer am Anfang.
    Es nützte auch gar nichts, darüber weiter nachzugrübeln, ich wollte nur diesen Abend genießen und mich auf unser gemeinsames Leben freuen. Wenn wir einigermaßen achtsam miteinander umgingen, dann konnten wir es vielleicht sogar schaffen. Und vielleicht, ganz vielleicht, würden wir eines Tages zu dritt sein?
    Als wir kurz vor Mitternacht zu Bett gingen, waren wir beide zu satt und zu faul, um nochmals übereinander herzufallen. Also kuschelten wir uns beim Einschlafen nur aneinander und das letzte, was ich hörte, war, wie Oliver an mein Ohr murmelte: «Schmeiß die doofe Pille ins Klo.»
     
    Obwohl ich in der folgenden Nacht erneut schlecht geschlafen hatte – das konnte auch an den Bratkartoffeln mit zu viel Remouladensauce gelegen haben – sprang ich am nächsten Morgen voller Energie aus dem Bett. In der Küche fand ich eine bereitgestellte Teekanne vor und daneben meinen Lieblingsbecher. Ich musste nur noch den Kessel aufsetzen. Oliver hatte bereits das Haus verlassen.
    Für diesen Tag hatte ich mir zwei Dinge vorgenommen: Zum Einen wollte ich das nächste Kapitel beginnen. Der Handlungsrahmen schwebte mir bereits vor. Wenn ich gut vorankam, dann konnte ich am Nachmittag in die Stadt fahren und Farbe besorgen. Vielleicht würde der Raum, an dem ich zur Zeit arbeitete, wirklich nur für kurze Zeit ein Gästezimmer sein.
    Beschwingt von diesem Gedanken trug ich Tasse und Teekanne hinauf ins Arbeitszimmer und schrieb konzentriert etwa zwei Stunden lang. Dann war mein Kopf leer und ich duschte und zog mich an. Ich fuhr nach Erzfeld zu dem Heimwerkermarkt, in dem ich inzwischen Stammkundin war, um Pinsel, Abdeckplane, Grundierung und Farbe zu kaufen. Das Meiste von meiner Liste hatte ich bereits gefunden. Ich stand vor dem Regal mit den Wandfarben und entschied mich spontan für ein sonniges Maisgelb. Allein der Anblick bereitete mir gute Laune.
    Bisher hatten wir jeden Raum in einem anderen Farbton gestrichen und Gelb würde in jedem Fall passen. Egal, ob das Zimmer nun unsere Gäste, einen Jungen oder ein Mädchen beherbergen würde. Mit diesen hoffnungsvollen Gedanken im Kopf lud ich den
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