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Nonstop in die Raketenfalle

Nonstop in die Raketenfalle

Titel: Nonstop in die Raketenfalle
Autoren: Stefan Wolf
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Geld! Seid
nicht böse, dass ich euch da reinziehe. Aber ich musste einfach mit jemandem reden.
Meiner Anna darf ich kein Wort sagen. Sie würde sterben vor Angst. Und die
Kinder sind ja noch so klein. Emilio ist auch keine Hilfe. Nein, überhaupt
nicht. Er macht zu allem nur Sprüche. Und dann nimmt er sich frei. Euch bitte
ich nun um Stillschweigen. Gaby, bitte sag nichts deinem Vater. Ich will
nichts, aber auch gar nichts riskieren. Keine Polizei. Wenn ich jemandem
vertraue, dann euch. Aber versprecht mir, dass ihr nichts unternehmt. Ich werde
das Geld auftreiben und zahlen. Ihr, das dachte ich mir, könntet vielleicht das
Schließfach beobachten. Morgen Abend. Wenn die Typen das Geld holen. Aber
folgen dürft ihr ihnen nicht. Denn...«
    »Moment, Paolo!«, wurde er von
Tim unterbrochen. »Bei der Strategie sind wir noch nicht.«
    Tim starrte auf den Erpresserbrief.
    »Sondern?«, fragte Karl.
    »Bei mir im Hinterkopf klingelt
was«, sagte Tim. »Aber das ist kein Tinnitus (Ohrgeräusch)- Ableger,
sondern ‘ne verhüllte Erinnerung. Ich zerre gerade an der Umhüllung.«
    Alle sahen ihn an und warteten.
    Tim ließ den Schrieb sinken und
blickte suchend umher. Dann hatte er’s und war mit zwei Schritten an der
Pinnwand. Emilios Ansichtskarte aus Südafrika! Er nahm sie ab, drückte nur die
Reißzwecke wieder in die Korkwand. Am Schreibtisch legte er Brief und Karte
nebeneinander auf die Platte. Seinen Urlaubsgruß aus dem schwarzen Erdteil
hatte Emilio natürlich per Hand geschrieben — mit Kugelschreiber in einer
nervösen, kritzligen Schrift.
    Tim wies auf die Briefmarken.
»Beide stehen auf dem Kopf.«
    »Ja, und?« Paolo glotzte ihn
an.
    »So was kommt häufig vor«,
nickte Tim, »aber so häufig auch wieder nicht. Die meisten Postkunden, die
Briefmarken benutzen, sind in der Lage, sie richtig aufzukleben, nachdem sie
zuvor ein paar Tropfen vom eigenen Sabber geopfert haben. Jedenfalls lecken
Privatleute die Briefmarken an. In Firmenbüros, in denen mehr Post anfällt,
gibt’s wassergetränkte Gummischwämmchen. Falls nicht überhaupt auf
Postwertzeichen verzichtet wird und man stattdessen ‘ne Frankiermaschine, einen
Freistempler, einsetzt.«
    »Warum erzählst du das?«,
fragte Klößchen.
    »Ich fange ja erst an.« Tim
deutete auf die Karte. »Öfter mal in letzter Zeit habe ich mir diese
Ansichtskarte angesehen. Sie hat mich fasziniert. Aber nicht die Ansicht, das
Bild, die Vorderseite, sondern Emilios grottenhässliche Schrift. Wie kann
jemand nur so krakeln?, dachte ich. Aber zu ihm passt die Schrift. So wie er
ist, ist auch seine Schrift. Dir, Paolo, dürfte es ja nicht entgangen sein,
dass wir deinen Kompagnon wenig schätzen. Allerdings wollten wir daraus nie ein
Thema machen. Jetzt müssen wir.«
    »Wieso?« Paolo blickte
verständnislos.
    »Beim Betrachten der Schrift«,
sagte Tim, »habe ich mir unbeabsichtigt einige Formulierungen eingeprägt. Auf
der Karte steht: Im Alter werde ich mich hier niederlassen. Nimm das ernst,
Paolo! Im Brief steht: Dies ist eine Mitteilung. Nimm sie ernst. Auf der Karte
steht: Für 100 000 Euro, umgerechnet, bekäme ich hier ein schönes Haus. Eine
einmalige Summe für schönes Wohnen auf Lebenszeit. Im Brief steht: Die
Schutzgebühr beträgt 500 000 Euro. Eine einmalige Zahlung für den Schutz auf
Lebenszeit. Auf der Karte steht: Wenn man in den Slums nicht aufpasst, ist man
unablässig in Gefahr. Im Brief heißt es: Deine Frau und deine Kinder wären dann
unablässig in Gefahr.« Tim blickte von einem zum andern. »Leute, diese
Formulierungen springen uns doch buchstäblich mit nacktem Hintern ins Gesicht.
Diese Übereinstimmung! Ich bin ja nur froh, dass Emilio die Postkarte nicht auf
Italienisch geschrieben hat. Aber soviel ich weiß, ist er hier aufgewachsen bei
einem deutschen, inzwischen verstorbenen Vater. Nur die Mutter war Italienerin
— richtig, Paolo? — und hatte einen tödlichen Unfall, als er noch nicht zur
Schule ging. Er ist also deutschsprachig aufgewachsen und hat sich sein
bisschen Italienisch in der Volkshochschule angeeignet.«
    Paolo starrte Tim an, als wäre
er geohrfeigt worden. Dann presste er die Hände an den Kopf. Der Mund zitterte.
    »Willst du damit sagen,
Emilio... mein Kompagnon... mein Landsmann... denn als den sehe ich ihn...
Meinst du, er... Tim! Das... das... Er bekommt doch genug.«
    »Für einen Gierlappen ist genug
zu wenig. Der will alles und ‘ne Vergütung obendrauf. Du hast doch mal erzählt,
er sei zwar dein
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