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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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Fleisch auch noch angekokelt, und jetzt hat irgendein Arsch meinen Stein geklaut – wie soll ich schlafen ohne Stein unterm Kopf? Es war so ein bequemer Stein.«
    So war es besonders für Nörgelforscher interessant, als 2009 bekanntgegeben wurde, dass Nicholas Conard, ein Professor am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen, bei Ausgrabungen im Höhlensystem »Hohlen Fels« am Fuß der Schwäbischen Alb die älteste figürliche Darstellung eines Menschen gefunden hat. Die mindestens 35000 Jahre alte sogenannte »Venus vom Hohlen Fels« ist eine aus Mammut-Elfenbein geschnitzte Figur, nicht ganz so groß wie ein menschlicher Daumen, und war offenbar dazu bestimmt, an einem Lederriemen um den Hals getragen zu werden.
    Sie hat auch alles, was eine ideale Frau so braucht – Beine, Po, Bauch, alles nackt natürlich – und große Brüste. Diese sind so riesig, dass sie etwa ein Fünftel der Gesamtmasse der Figur ausmachen. Dafür fehlt der Kopf.
    Jetzt wissen wir, was der Deutsche vor rund 35000 Jahren zu meckern hatte: »Weib, das nennst du Oberweite? Schau her – siehst du, das ist ein richtiger Busen. Kannst du da nicht was machen?«
    Doch allein über die körperlichen Unzulänglichkeiten der Lebenspartnerin zu nörgeln ist noch keine Leistung. Steinzeitmenschen auf der ganzen Welt müssen dies regelmäßig und mit großer Lust zwischen oder auf Mammutjagden getan haben. Kann auch jeder. Die Elfenbeinschnitzer vom Hohlen Fels haben es aber nicht dabei belassen: Sie haben ihre Nörgelei in etwas Neues verwandelt: in Kunst. Offenbar waren die Schwaben in der Technik des Jammerns den restlichen Europäern schon damals weit voraus, denn der Hohle Fels ist eine wahre Brutstätte der Meckerkunst gewesen. In der gleichen Höhle wurde 2008 eine fast vollständige Gänseknochenflöte gefunden, die genauso alt wie die Venusfigur war.
    Wurde die Flöte benutzt, um das gemeinschaftliche Mosern in neuer Harmonie erklingen zu lassen? Handelt es sich um die letzten Überreste des weltersten Nörgelorchesters? Ach, wie gern hätte ich jenen wilden Orgien mit großbusigen Frauen, die wild nach Flötenmusik getanzt haben, beigewohnt. Diese attraktive Paarung von rhythmischer Musik mit gutgebauten, kopflos-enthemmten Weibern erinnert an eine andere Tradition. Im Süden der Vereinigten Staaten entstand im frühen 20. Jahrhundert in einschlägigen Lasterhöhlen aus genau den gleichen Zutaten die wichtigste Nörgelmusikgattung der modernen Welt – der Blues. Handelt es sich im Falle der Flöte von Hohlen Fels um den ersten Blues?
Oh no, no, I got a flat-chested woman,
A flat-chested woman,
A flat-chested woman!
I’m singing those flat-chested woman blues!
    Die Erfindung der jammernden Steinzeitschwaben machte schnell Schule, und bald arbeitete die ganze Welt das Murren, Mäkeln und Motzen in ihre höchsten Künste ein. Heute gibt es kaum einen Helden, der nicht sein Schicksal beklagt; kaum eine Mutter, die sich nicht über das Los ihrer Kinder beschwert, kaum eine Liebende, die nicht zwischen heißen Liebesschwüren beiläufig fallen lässt, wie sehr ihr Herz schmerzt. In epischen Gedichten, in intimen Gesängen und in Opernspektakeln sowie in der bildenden Kunst wird geklagt, gemosert und geheult, was das Zeug hält.
    Bald entstanden ganze Gattungen, die sich nur der Jammerei widmeten. Schon rund 550 Jahre vor Christus wurde in der Klage des Jeremias im Alten Testament auf höchstem Niveau über alles gemault: Gott über sein Volk, das Volk über Gott, und der Prophet Jeremias nölte darüber, dass er mit dieser Prophezeierei völlig überfordert sei. Ein Hauch von Jeremias klingt heute noch in den wimmernden Gesängen des modernen Troubadours Xavier Naidoo, der schon in den ersten Zeilen seiner Klagelieder in das Gewand des Propheten schlüpft: »Ich stimm die Klagelieder an«, trällert er und klagt daraufhin minutenlang über irgendjemanden, ob über einen ungenannten Zuhörer oder einfach über alle seine Zuhörer, ist unklar.
    Im Mittelalter gab es ein literarisches Genre, das alle anderen überragte: Weder Krimis wollte der mittelalterliche Europäer lesen noch Vampirromane und auf gar keinen Fall lange kapitalismuskritische Abhandlungen, sondern Ritterromane, auch bekannt als König-Artus -Epos. Und in jenen Romanen kam immer wieder eine Figur vor, die man als die erste Nörgelserienfigur bezeichnen kann: der Truchsess Keie am Artushof, der Ur-Querulant der Literatur. Keie spielt in fast
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