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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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habe den Eindruck, wenn es den Leuten gut geht, suchen sie einen Grund, warum es ihnen schlecht geht«, überlegte die Brasilianerin Köninger. »In Brasilien ist alles viel schwieriger: Die öffentlichen Verkehrsmittel funktionieren nicht; wenn es regnet, steht die Straße unter Wasser; die ärztliche Versorgung ist schlecht, wenn man nicht viel Geld hinlegt; man steht am Markt ewig in der Schlange. Aber man ärgert sich dort nicht so sehr darüber wie hier.«
    Wer vom Leben erwartet, dass die Dinge funktionieren, der nörgelt auch mehr, scheint es. Die armen Schweine am anderen Ende der Hotlines können ein Lied davon singen. Wie man auf die Idee kommen kann, dass die Welt stets funktionieren sollte, weiß ich auch nicht, aber scheinbar ist Nörgeln ein Zeichen von gehobenem Anspruch, und wenn die Deutschen eines haben, dann sind es Ansprüche.
    »Hier in Deutschland funktioniert alles«, stimmte D’Angelo zu, »und man ist erstaunt, wenn einmal etwas nicht funktioniert. In Italien sind wir erschrocken, wenn mal was funktioniert. Die Deutschen glauben, ihre Bürokratie sei kompliziert. Das ist nichts gegen Italien. Wenn man in Deutschland zwei Stunden im Einwohnermeldeamt warten muss, meckert man. In Italien wartet man zwei Monate.«
    In Deutschland sind die Erwartungen so unrealistisch hoch, dass Frauen sogar erwarten, dass ihre Männer funktionieren. Das würde zumindest einiges erklären, was mich seit vielen Jahren in einer Beziehung mit einer deutschen Frau wundert. Auch mein Freund Mark, der, wie so viele der hier befragten Ausländer, mit einer Deutschen verheiratet ist, hat dieses Phänomen beobachtet.
    »Die wichtigsten Frauen in meinem Leben sind meine Frau Simone und meine Mutter«, erklärte er. »Das Seltsame ist, unter der Oberfläche haben sie beide ganz ähnliche Persönlichkeiten, mit der einzigen Ausnahme, dass sie anders mit Ärger umgehen. Simone greift an. Wenn etwas in einem Laden nicht stimmt, schreit sie die Leute an, bis etwas passiert. Das ist deutsch. Meine Mutter würde einen strengen Brief schreiben.«
    Eines Tages kamen seine Eltern aus Amerika zu Besuch. »Wir dachten, wir reisen zusammen ein bisschen in Europa herum«, erzählte er. »In Kopenhagen wollte ich zwei Hotelzimmer für den nächsten Tag buchen, und ich buchte zwei ›Doppelzimmer‹, ohne zu wissen, dass es sich aus irgendeinem Grund nicht um Zimmer mit Doppelbetten handelte, sondern um Zimmer mit zwei Einzelbetten. Wir trafen uns dann auf einem großen Platz und Simone fragte, was ich gebucht hätte. ›Warum brauchen wir zwei Betten? Bist du ein Idiot?‹, fragte sie. Meine Mutter bekam mit, dass irgendjemand gerade ihren Sohn kritisiert, und gab zu bedenken: ›Nun ja, ich glaube, wir sollten versuchen, ihn zu verstehen, und zulassen, dass er die Dinge auf seine Art regelt‹. Simone meinte: ›Er macht immer so einen Scheiß.‹ Da sagte meine Mutter: ›Das hört sich ein bisschen an wie eine Kritik darüber, wie er erzogen wurde.‹ Simone: ›Hättest du ihn mal richtig erzogen, wäre er nicht so.‹ Darauf meine Mutter eiskalt: ›Ich nehme ihn jederzeit zurück.‹ Das war’s dann. Alles explodierte. Simone griff meine Mutter an und meine Mutter griff Simone an, und all das mitten auf diesem öffentlichen Platz in Kopenhagen. Ab und zu warf mein Vater hoffnungsvoll noch ein: ›Na, ist doch schön, dass das alles endlich ausgesprochen wurde‹, aber das tat dem Streit keinen Abbruch. Die Frauen ließen die Fetzen fliegen. Mein Vater und ich pflegen die gleiche amerikanische Einstellung zu Konflikten. Uns blieb nichts übrig als verlegen rumzustehen und hin und wieder zu murmeln, ›na? Schöner Tag, was? Hat irgendwer Hunger?‹«
    Die Frage, die mir meine internationalen Nörgelforscher jedoch nicht beantworten konnten, war: Wie weit reicht die Kultur des Krittelns hierzulande eigentlich zurück?

3 . Die Literatur des Lamentierens
    Wie aus Klagen, Kritteln und Keifen Kunst wurde
    Wir können nur vermuten, was die ersten Sätze waren, die der deutsche Mensch gesprochen hat. Wenn wir in einer Zeitmaschine in die Ur-Geschichte zurückreisen und ihnen lauschen könnten, kann es schon sein, dass wir so etwas hören würden wie »alle Menschen sind gleich« oder »die Würde des Menschen ist unantastbar«, oder gar »all you need is love.« Ich vermute aber, dass es eher so etwas war wie: »Scheiße nochmal! Heute geht aber wirklich alles schief! Zuerst zertrampelt dieses blöde Mammut mein Weib, dann ist das
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