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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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anderen verstummten, denn es lag Aufrichtigkeit in seiner Stimme. »Aber auch das Glücklichsein nimmt viele verschiedenen Formen an. Es gibt Familien, die sagen, Sex, Liebe und Ehe sind verschiedene Dinge und man muss sie voneinander getrennt betrachten. Ich kannte eine glückliche Familie, das Paar lernte sich in den vierziger oder fünfziger Jahren kennen. Er war schwul, und sie war lesbisch, aber sie wollten Kinder, also haben sie geheiratet und Kinder bekommen. Sie hatten ihr Leben lang andere Liebhaber, aber sie waren unglaublich glücklich und sind bis zu ihrem Tod zusammengeblieben. Was man alles tut, um das Glück zu erlangen, ist erstaunlich.« Das war ein Mann, der an Information glaubte und Information liebte.
    Ralf war ein Mann, der an eine brachiale Sprache glaubte und eine brachiale Sprache liebte.
    »Hier ein chinesisches Sprichwort.« Ich blickte auf meine Liste: »›Mögest du in interessanten Zeiten leben.‹«
    »Was für eine gequirlte Scheiße«, entfuhr es ihm. »Wenn einer auf seiner Pritsche in Auschwitz dieses Sprichwort gehört hätte, hätte er gedacht, ›klar, interessante Zeiten sind das schon, aber ich weiß nicht, ob ich dieses Sprichwort jetzt so toll finde.‹ Die interessantesten Orte und Zeiten sind doch immer für irgendjemanden die unangenehmsten. Denk an Vietnam, an Tibet. Also diese Chinesen mit ihren Sprichwörtern, echte Sadisten sind das, Faschisten, richtige Arschlöcher.« Angewidert stürzte er seinen Wein hinunter.
    Andi dagegen, der dezente Anarchist, liebte es, von einer Frage abzulenken und stattdessen die Grundlagen des Gesprächs an sich in Frage zu stellen. Ich glaube, während unserer langjährigen Freundschaft ist es mir nicht einmal gelungen, aus ihm eine Antwort auf eine Frage herauszubekommen, stattdessen habe ich mit seiner Hilfe die Frage so oft umformuliert, bis es nicht mehr möglich war, dadurch die Antwort zu bekommen, die ich ursprünglich gesucht hatte.
    »Magellan umsegelt als Erster die Welt«.
    »Das muss man differenziert sehen«, sagte Andi. »Du musst die Hintergründe kennen. Das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab.«
    »Die Pyramiden«, warf ich in die Runde.
    »Ich frage mich, ob du die richtige Frage stellst«, bemängelte er. »Und wie du überhaupt auf diese Auswahl kommst. Diese völlig konzeptlose Zusammenstellung von Shakespeare bis Tolstoi mit irgendwelchen verrückten Eroberern und ein paar pseudo-wissenschaftlichen Einstreuungen – ich nehme an, es entstand aus Verzweiflung. Oder Zeitnot.«
    »Mögest du in interessanten Zeiten leben«, wiederholte ich.
    »Ich befürchte, wenn das Buch fertig ist und in der Buchhandlung liegt, wirst du feststellen, dass du eine Auswahl getroffen hast, die ihren Zweck verfehlt.«
    Ich versuchte es ein letztes Mal: »Hier ein Spruch von Dante«, sagte ich: »›Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt.‹«
    »Ah ja«, meinte Andi süffisant, »da schlägt das Herz des Amerikaners höher, was?«
    Frederick war vom Gemüt her seelenverwandt, aber er wählte lieber den Frontalangriff.
    »Indien erfand die Null«, probierte ich es bei ihm.
    »Woher soll ich überhaupt wissen, dass das stimmt?«, wandte er ein, lässig zurückgelehnt, sein Pilsglas vor sich auf dem Tisch wie einen kleinen Leuchtturm. »Du lügst mir schon wieder irgendwas vor. Man muss bei dir davon ausgehen, dass alles, was du sagst, manipulierte Informationen sind. Sag mal, Eric, wieso kommst du überhaupt immer wieder mit so einem Schwachsinn an? Und warum schreibst du das jetzt mit?«
    »Weil das auch eine Art zu nörgeln ist. Du vermeidest das eigentliche Thema, indem du über etwas anders nörgelst.«
    »Das ist kein Nörgeln, das ist Schimpfen«, differenzierte Frederick.
    »Der Unterschied ist nicht wichtig für dieses Experiment.«
    »Er ist wohl wichtig«, protestierte er empört. »Unterschiede sind immer wichtig. Das ist das Problem mit dir, du bist zur Differenzierung nicht fähig, wie alle Amis, weil du die Nuancen einer Argumentation nicht verstehst und als Ami auch gar nicht dazu in der Lage bist. Und das alles hier will ich nicht irgendwo unter meinem Namen gedruckt lesen.«
    Die ganze Zeit über machte ich mir Sorgen um Carl S. Er machte und machte den Mund nicht auf. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn einzuladen. Er ist viel zu locker für das anstrengende Geschäft des Nörgelns und eigentlich auch, das muss man sagen, ein grundlegend positiver Mensch.
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