Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
Vom Netzwerk:
Prinzessin gab, tat es anmutiger als jede Frau.
    Nach der Probe unterhielt ich mich mit einem älteren Lehrer, der gut Englisch sprach. Wir witzelten übers Einrosten und den zunehmenden Bauchumfang im Alter, da fragte er, ob ich den Studenten ein paar Lektionen Standardtanz geben könnte. Die Schüler seien neugierig, und Abwechslung täte ihnen gut. Ich sagte sofort zu. Nächsten Sonntag gehts los mit zwanzig Studentinnen und Studenten! Pong will zusehen. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie stolz er auf mich ist.
    Auf dem Foto, das Du mir geschickt hast, siehst Du immer noch gleich aus wie in meiner Erinnerung. Hat die junge Nachbarin mit dem Computer getrickst? Oder ist Alexander ein Jungbrunnen?
    Schreib mir von ihm und lass Dich von der Regisseurin nicht ins Bockshorn jagen!
    Ich umarme Dich
    Martin
    PS: Dass Brenda Burger ihre Mimik aufgegeben hat, enttäuscht mich. Immerhin sieht sie noch nicht aus wie der frühere italienische Ministerpräsident, der seine eigene Fastnachtsmaske aufhat.
    Alice lächelt. Martin und ein dicker Bauch. Unvorstellbar, dass er ihn nicht wegtrainiert hat. Fünfzig Liegestützen machte er früher zum Aufwärmen. Sie aß lieber weniger, um in Form zu bleiben, sie wollte keine muskulösen Arme. Trotzdem veränderte sich ihre Figur von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Mit zwanzig war sie gleichmäßig dünn, mit dreißig schlank, mit vierzig wuchs die Taille, mit fünfzig war der Bauch rund, mit sechzig wurden die Beine dünn und jetzt ... Sie steht auf und geht zum Schrank. Sie fühlte sich mit zwanzig unvollkommen, mit dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig, jetzt. Würde sie anders empfinden, hätte sie nicht ihr Leben lang nach Anmut gestrebt? Sie betrachtet sich im Spiegel an der Schranktür. Hör auf. Auch Alexander ist nicht perfekt. Sie hält sich die neue Bluse unters Kinn. Sie kann sich sehen lassen.
    Ist sie mit Alexander zusammen, kommt ihr alles reizvoll vor. Sogar über die Steuererklärung unterhielten sie sich angeregt. Sie erwähnte ihre jährlich wiederkehrende Scham beim Ausfüllen des Zivilstandes. «Geschieden» lese sich wie «Betragen ungenügend». Er wandte ein, «Ledig» sei nicht besser, es werde mit «Muttersöhnchen» in Verbindung gebracht. Sie sagte, im Gegensatz zum Schulzeugnis könne man sich in der Steuererklärung nicht verbessern. Sie sei von Staates wegen eine Versagerin, obwohl die Scheidung bald ein halbes Jahrhundert zurückliege. Alexander sah sie überrascht an. «Dass dir das etwas ausmacht.» Dann meinte er verschmitzt, es gebe einen Weg, das Stigma loszuwerden: «Wieder heiraten.»
    Mit Alexander vergingen die Nachmittage so schnell, dass sie staunte. Sie hoben die Zeit auf. Hildegard Knef sang «Ich will, will groß sein, will siegen, will froh sein, nie lügen» und Alice war hingerissen, dass eine Frau «alles oder nichts» für sich beanspruchte. Alexander amüsierte sich über die Bigotterie der Männer, die die Knef begehrten, aber von Skandal sprachen. «Und du?», fragte sie. «Mir gefiel sie.»
    Auch das Eislaufen über den gefrorenen See wurde gegenwärtig. Sie stolperte beim Übersetzen rückwärts, weil das Eis uneben war und stürzte aufs Steißbein. Alexander wurde nach einer Umrundung krank. Er gestand, dass er lieber fror, als lange Unterhosen zu tragen, die unter den Hosenbeinen hervorblitzten. Schon als Junge habe er sich geweigert, Kleidung anzuziehen, die zweckmäßg, aber hässlich oder unbequem war.
    Egal, wo ihre Gespräche begannen, irgendwann führten sie in die Kindheit. Sie verriet Alexander ihren Ballerinatraum. Er vertraute ihr an, dass er im Wohnzimmer Skirennen gewonnen hatte und Meister im Versteckebauen war. Im Waldboden grub er eines für Würmer, im Garten errichtete er eine Baumhütte für sich, im Schopf stellte er ein Fliegenhaus auf. Für Gespenster baute er im Dachstock ein Gefängnis.
    Einmal, Alexander kam gerade von seinem Bruder, den er wöchentlich im Pflegeheim besuchte, war er ungewohnt still. «Wie gehts ihm?», fragte sie. Alexander brach nach dem Atemholen ab. Nach einer Weile sagte er: «Er hat geweint.» Sie wartete. «Er weinte und sagte, er habe sein Leben verpasst. Das Aufwachsen seiner Kinder habe er nicht mitgekriegt, die einzige Frau, die er geliebt habe, habe er vertrieben, seine Arbeit sei nutzlos gewesen.»
    «War sie das?»
    «Was heißt nutzlos? Zuletzt war er in der Geschäftsleitung eines Büromöbelherstellers tätig.»
    «Und die Frau?»
    «Seine Ehefrau hielt ihm den Rücken frei,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher