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Noch nicht mal alleinerziehend

Noch nicht mal alleinerziehend

Titel: Noch nicht mal alleinerziehend
Autoren: Dunja M Pechner
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so.
    »Ich hoffe, du hast eine gute Ausrede, du bist viel zu …« Ihre Mutter stockte, als Nora das Zimmer betrat. »Nora! Wie siehst du denn aus?«
    »Mama!«
    »Kommst du vom Sport oder lebst du jetzt aus der Altkleidersammlung?«
    »Mama, das trägt man jetzt so«, rechtfertigte Nora ihre blaugrüne und zudem – wie sie fand – extrem stylische Jogginghose. »Und außerdem ist die super bequem.«
    »Papperlapapp, das ist eine Turnhose! Und was sind das für Schuhe?«
    »Könnten wir dann jetzt essen?«, unterbrach ihr Vater die aufkeimende Auseinandersetzung.
    »Natürlich, wenn es noch genießbar ist«, stichelte ihre Mutter und entschwand Richtung Küche.
    Nora setzte sich an den Tisch, auf dem heute Mutters bestes Porzellangeschirr stand. Weiß, mit einem 558-Goldrand. Ihr Aussteuergeschirr – ein Erbstück ihrer Mutter, die es von ihrer Mutter hatte, die wiederum von ihrer und so weiter … Das packte Noras Mutter eigentlich nur zum Hochzeitstag oder zu Ostern aus. Beim Anblick des Geschirrs wurde Nora heiß und kalt. Dann heiß und schlecht. Hatte sie etwa den Hochzeitstag ihrer Eltern vergessen? Auch wenn sie immer noch nicht verstanden hatte, warum ihre Eltern diesen Tag nicht ganz alleine, irgendwo an einem romantischen Ort, nur für sich feierten, vergaß sie normalerweise nie den höchsten Familienfeiertag. Außerdem war der Tisch nur für drei Personen gedeckt.
    »Wo sind denn die anderen?«, fragte Nora.
    »Später«, sagte ihr Vater und zwinkerte ihr geheimnisvoll zu.
    Noras Mutter kam mit dem Essen zurück. »Weil wir heute nur zu dritt sind, habe ich dein Lieblingsessen gekocht – Königinnen-Pastete!«
    Nora verstand dies als Friedensangebot und verkniff sich den Kommentar, dass sie seit drei Jahren kein Fleisch mehr aß. Sie lächelte. »Und du hast gleich noch zum guten Geschirr gegriffen – oder habe ich etwas verpasst?«
    »Bestimmt«, flötete ihre Mutter. »Aber jetzt iss erst mal. Du siehst aus, als hättest du es bitter nötig. Warst du letzte Nacht aus?«
    »Ein bisschen«, sagte Nora und stocherte in ihrer Pastete mit den glitschigen rosa Fleischstückchen.
    »Ein bisschen viel oder ein bisschen lange?«
    »Keine Ahnung, ein bisschen halt.«
    »Und was macht die Arbeit?«, fragte ihr Vater.
    »Papa, ich arbeite doch gerade gar nicht. Ich nehme mir eine Auszeit!«
    Im Januar hatte Nora, die bis dahin als Imageberaterin gearbeitet hatte, ihren Job geschmissen. Drei Monate sollte ihre Auszeit dauern. Einfach mal nichts tun, in den Tag hineinleben, Freunde treffen, sich neu orientieren und herausfinden, was sie mit ihrem Leben in Zukunft anfangen wollte – das war ihr Plan. Denn sie war müde. Müde, Klienten zu sagen, wann sie wie besser rüberkommen, welche Kleidung zu welchem Anlass und welches Statement zu welcher Frage passt. Es hatte sie immer mehr Anstrengung gekostet, über Gestik, Mimik und Körpersprache zu referieren oder mit ihren Klienten zu allen möglichen Events um die Welt zu reisen. Nach und nach hatte das alles für Nora an Sinn verloren. Sie war einfach nicht mehr glücklich gewesen! Ihre Eltern hatten sowieso nie verstanden, was sie da machte. Ihr Vater, da war Nora sich sicher, ging eher davon aus, dass sie für einen internationalen Escort-Service arbeitete. So wie er das verstand, flog Nora mit irgendwelchen – angeblich – berühmten Menschen irgendwo hin, um sich dann bei Veranstaltungen mit denen hinter der Bühne rumzutreiben, in der für ihn äußerst zweifelhaften »Backstage-Area«. Oder sie lief mit denen über irgendeinen roten Teppich oder machte sonst was mit diesen Leuten.
    »Schatz, wie heißt das noch mal, was du da machst?«, hatte er sie zu Beginn ihrer Karriere gefragt.
    »Ich bin Imageberaterin, Papa.«
    »Macht man da eine Lehre, oder wie wird man das?«
    »Ich bin da über den Journalismus reingerutscht, das weißt du doch!«
    »Also, keine Ausbildung nötig, ja?! Mmmmh …«, hatte er geantwortet. »Und was macht ihr da noch mal genau – in diesem ›Stage‹?«
    »Wir warten, bis meine Klienten Interviews geben oder Auftritte haben.«
    »Und was ist deine Rolle dabei?«
    »Ich koordiniere die Abläufe, bin Ansprechpartnerin für die Medien oder Veranstalter, berate meine Klienten und betreue sie«, erklärte Nora.
    »In irgendwelchen dunklen Garderoben?«
    »Die ganze Zeit über, Papa!«
    Danach hatte er sie nie wieder gefragt. Für ihn war klar: Nora hatte keinen Beruf. Nicht wie ihr Bruder, der in einer Rechtsanwaltskanzlei arbeitete.
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