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Noch Einmal Sollst Du Buessen

Noch Einmal Sollst Du Buessen

Titel: Noch Einmal Sollst Du Buessen
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Millimeterschritten von ihm ab. Wunderbarerweise verlor sie nicht das Gleichgewicht. „Untersteh dich!“, warnte sie ihn.
    „Komm schon, Marnie“, redete er ihr zu, „sei vernünftig. Tu es wenigstens für den äußeren Schein.“
    „Nein, das kann ich nicht …“
    „Kent! Meine Glückwünsche!“, rief Bürgermeister Winthrop lauthals und streckte die Hand aus. Er war klein und beleibt. Sein schütteres graues Haar hatte er sorgfältig über eine kahle Stelle gekämmt. „Schönes Hotel, Marnie, wirklich schön!“, tönte er, bevor er seine Aufmerksamkeit Victor und Kent zuwandte.
    Marnie rang sich ein halbherziges Lächeln ab. Dann, ehe Kent es gewahr wurde, stieg sie behände von der Marmorbrüstung und tauchte in der Menge unter.
    Schluss mit dem Theater, dachte sie, während sie sich schnell vom Springbrunnen entfernte. Ihr Versprechen, bei der Eröffnungsfeier zu erscheinen, bedeutete noch lange nicht, dass sie sich vor aller Augen als Kents Verlobte präsentierte.
    Diese Verlobung war ein großer Fehler gewesen! Wie konnte sie sich je eingebildet haben, Kent zu lieben? Wie hatte sie glauben können, dass er sie liebte? Sie musste verrückt gewesen sein. Oder verzweifelt.
    Marnie warf einen verstohlenen Blick zur Band. Die Musiker hatten aufgehört zu spielen und sahen dem Pressespektakel zu. Adam war verschwunden.
    Marnie schlenderte mit gemischten Gefühlen durch das Foyer. Sie hörte die pathetische Stimme des Bürgermeisters, der in seiner überschwänglichen Lobrede Victor Montgomerys prächtig gelungenes Projekt pries. Und ohne hinzusehen, konnte sie sich das glückliche Gesicht ihres Vaters vorstellen. Was Architektur und Innenausstattung betraf, war das „Puget West“ das Gewagteste, was er bisher gebaut hatte.
    Aber Marnie empfand nicht denselben Stolz wie bei der Fertigstellung anderer Hotels. Beim „Puget West“ war es von Anfang an anders gewesen. Sie dachte an die Probleme und Verzögerungen beim Kauf des Grundstücks, bei der Bauplanung, der Kalkulation, an den Ärger mit dem ersten Architekten, der auf Biegen und Brechen seine revolutionären Ideen durchsetzen wollte, sie dachte an die überreizte Stimmung in der Verwaltungsetage und – natürlich – an den Skandal.
    Zuerst hatte Adam Drake, von Victor zum Leiter des Projekts bestellt, die Wogen geglättet. Aber dann hatte Kate die Fehler in den Büchern entdeckt, und die Hölle war losgebrochen.
    Das unterschlagene Geld war nie gefunden worden. Über fünfhunderttausend Dollar waren verschwunden, so als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Da niemand eine Erklärung für das Unerklärliche fand, wurde Adam Drake als Dieb hingestellt. Weder angeklagt noch verurteilt, hatte er seinen guten Ruf eingebüßt.
    Und nun war er hier. Warum?
    „Ein Glas Champagner, Miss Montgomery?“ Die höfliche Stimme des Kellners schreckte sie aus ihren Gedanken. Sie nahm abwesend ein Glas vom Tablett, nippte daran, und dann sah sie ihn plötzlich wieder. Er stand lässig an eine Marmorsäule gelehnt, die Smokingjacke offen, die Hand in der Hosentasche. Mit seinem windzerzausten Haar sah er verwegen aus. Und sehr selbstzufrieden. Um seine schmalen und doch sinnlichen Lippen spielte ein feines Lächeln. Sein Blick war auf Victor Montgomery gerichtet.
    So unverständlich sein Entschluss zu kommen auch war – irgendwie gehörte er hierher. Vor dem Skandal war Adam Drake für das Unternehmen unschätzbar gewesen, einer der wenigen in dem kleinen Kreis von Victors Beratern. Adam war es gewesen, der dieses Stück Land am Westufer des Sunds gefunden hatte. Und er hatte nach zähen Verhandlungen einen sehr guten Handel für Montgomery Hotels abgeschlossen. Ohne Adam Drake wäre das „Puget West“ niemals gebaut worden.
    Marnie rätselte, warum er von Neuem seinen Ruf aufs Spiel setzte. Der Mann musste unzurechnungsfähig sein.
    Sie musste sich zwingen, den Blick von ihm abzuwenden, und erspähte ausgerechnet Dolores Täte, die bei der Bar stand und mit großen verliebten Augen zu Kent hinübersah.
    Dolores war viel zu sehr in Kents Anblick vertieft, um Marnie zu bemerken. Sie war auch zu sehr mit der Wirkung ihres Aussehens beschäftigt. Mit einer gekonnt zierlichen Bewegung ordnete sie die dunklen Löckchen, die ihr Puppengesicht rahmten, und bewegte sich mit wiegenden Hüften durch die Menge auf den Springbrunnen zu. Die Goldpailletten auf ihrem hautengen, tief ausgeschnittenen Kleid blinkten bei jedem ihrer Schritte. Immer wieder blieb sie stehen und
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