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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament
Autoren: Liza Marklund
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hin, es brennt.«
    Der Junge setzte sich auf, rieb sich die Augen, sein Haar stand in alle Richtungen. Sein weißes Pflaster leuchtete in der Dunkelheit. Annika hörte das Tosen des Feuers auf der anderen Seite der Tür.
    »Kalle, hier!«
    Sie rannte zu ihrer Tochter zurück, drehte das Laken zu einem dicken Tau und wand es der Kleinen um den Bauch. Aber Ellen kreischte, sie wollte kein Laken um den Bauch haben, sie brüllte nach ihrem Papa und lief zur Tür. Annika fing sie ab und hielt sie fest im Arm.
    »Ellen«, rief sie, »Ellen, hör mir zu, Ellen, wir sterben, wenn du jetzt nicht tust, was ich sage!«
    Am Fenster begann Kalle laut loszuweinen, sein kleiner Körper bebte, aus dem Augenwinkel sah Annika, wie sich seine Schlafanzughose dunkel färbte, als er sich nass machte.
    »Mama«, rief er. »Ich will nicht sterben!«
    Ich schaffe das nicht, schoss es Annika durch den Kopf, wir sterben hier, es geht nicht.
    Und irgendwie wusste sie, dass dies der falsche Gedanke war, sie hatte es in der Hand, sie musste nur die Kontrolle wiedergewinnen und die Kinder mitnehmen, alles wie immer.
    Zurück am Fenster, stellte sie Ellen neben ihren Bruder, beugte sich zu den beiden hinunter und nahm sie fest in die Arme.
    »Wir machen das jetzt so«, sagte sie so ruhig wie möglich. »Wir fangen mit dir an, Kalle, denn du bist ja ein großer Junge und kriegst das prima hin, es ist nicht gefährlich. Ich knote dir jetzt das Laken um, wie ein dickes Seil, weißt du, und dann lasse ich dich runter auf die Terrasse. Und wenn deine Schwester kommt, nimmst du sie entgegen, okay?«
    »Ich will nicht sterben«, weinte der Junge.
    »Kalle«, sagte Annika, nahm sein Kinn und sah ihm fest in die Augen. »Hör mir zu, Kalle. Du musst mich jetzt unterstützen. Du bist schon groß und musst deiner kleinen Schwester helfen, wenn ich sie runterlasse, verstehst du? Sie ist doch noch so klein.«
    »Ich bin nicht klein«, sagte Ellen.
    Annika streichelte dem Mädchen über die Wangen und versuchte zu lächeln.
    »Du bist schon fast genauso groß«, sagte Annika. »Willst du mir helfen, Kalle abzuseilen, ja?«
    Die Kleine nickte eifrig, vergessen waren die Tränen.
    Kalle sah sehr skeptisch aus, als Annika das blaue Laken unter seinen Armen hindurchwand.
    Schaffe ich das?, dachte Annika. Wenn ich ihn nun fallen lasse?
    Der Rauch im Raum wurde immer dichter, offenbar hatte die Decke inzwischen auch Feuer gefangen.
    »Okay«, sagte Annika und öffnete das Fenster. »Bist du bereit?«
    Sie zwang sich, den Jungen anzulächeln, seine Unterlippe bebte, und er machte einen Schritt in Richtung der Tür. Schnell hob Annika ihn auf die Fensterbank, drehte ihn mit dem Gesicht zum Garten und schob seine Beine über die Kante, sodass sie an der Fassade hinunterbaumelten. Dann schlang sie das Laken noch einmal um den Fensterstock in der Mitte und gab Kalle einen Schubs. Es gab einen heftigen Ruck, der Junge brüllte vor Schreck und glitt noch einen halben Meter, dann konnte sie ihn halten.
    Hoffentlich rutscht er nicht aus der Schlinge, dachte sie und ließ Stück für Stück das Laken nach, noch ein Stück, und dann war es zu Ende.
    Sie konnte sich nicht hinauslehnen, um zu sehen, wie weit er gekommen war.
    »Bist du unten, Kalle?«, rief sie.
    Der Junge antwortete nicht.
    »Ist es noch weit nach unten?«
    Keine Antwort.
    Sie musste es riskieren.
    So lange wie möglich hielt sie das Laken fest, und nach nur knapp einem halben Meter hörte sie einen Plumps auf der Terrasse. Sie ließ das Bettlaken los und lehnte sich hinaus.
    »Kalle, ist alles in Ordnung?«
    Der Junge saß zusammengesunken auf der Terrasse und starrte ins Haus.
    »Mama«, rief er, »es brennt in der Küche.«
    Der Rauch im Schlafzimmer war dick und grau. Die Decke vor dem Türspalt schwelte und brannte.
    »Kalle«, sagte Annika, »ich lasse jetzt Ellen runter, und du musst sie annehmen, okay?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, beugte sie sich zu Ellen hinunter.
    »Jetzt bist du an der Reihe«, sagte sie und lächelte gezwungen. »Kalle ist schon unten und hilft dir, ist das nicht gut?«
    Das Mädchen nickte bloß und wartete ruhig und geduldig, während Annika mit zitternden Fingern das zweite Bettlaken um seinen Brustkorb knotete. Dann setzte sie Ellen genauso ins Fenster wie zuvor den Jungen und gab ihr einen Schubs.
    Diesmal war der Ruck kleiner, Ellen war wesentlich leichter als Kalle.
    Polternd fing die Tür hinter Annika Feuer. Sie ließ Ellen die letzten Meter hinunter.
    Von hinten
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