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Titel: nmp12
Autoren: Unknown
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und Appartement-Silos aus dem Boden wachsen.
    Nicht alle Ausgestoßenen hat
die Macht der Stadtsanierer in das neuerliche Exil der Vorstädte vertrieben.
Ein paar hundert Schritte nur entfernt von der Gare de Lyon haben sie ihren
täglichen Treffpunkt, an der Place d’Aligre. Es ist der wohl farbenprächtigste,
zumindest der lauteste Markt von Paris. Wahrscheinlich auch der billigste. Wer
auf karibische Köstlichkeiten erpicht ist, auf tunesische Datteln und Feigen,
auf koschere Küche, leuchtendrote Merguez-Würste oder Hammelhoden, ist hier
bestens aufgehoben. Gleich hinter der Markthalle liegt in der Rue
Théophile-Roussel der „Baron Rouge“, wo Landwein und Apfelmost, aber auch Bier,
vom Faß abgefüllt werden. Längst vergessen ist, daß hier am 14. Juli 1789 das
Signal zum Marsch und Sturm auf die unweit gelegene Bastille gegeben wurde.
    Gegärt hat es in diesem Viertel
schon immer. Wohl auch, weil die Arbeiter hier am Rande der alten Innenstadt
nicht einer strengen Ordnung der Zünfte unterworfen waren. Der Faubourg St.
Antoine, der die Place de la Bastille und die Place de la Nation miteinander
verbindet, galt in den späten Jahren des Ancien régime als Keimzelle der
Revolution. Die vielen versteckten Hinterhöfe waren Schlupfwinkel und
Treffpunkte der Aufrührer.
    Die Faubourgs nehmen da ihren
Anfang, wo die Boulevards als Verkehrsadern des Zentrums enden, wo der
aufgeputzte Glanz des innerstädtischen Paris langsam verblaßt, wo der
enggefaßte Rahmen Patina ansetzt.
    Der jüdische Soziologe
Siegfried Kracauer, den das Hitler-Deutschland erst nach Paris, wie so viele
andere Emigranten, und dann nach Amerika verschlug, hat die Pariser Faubourgs,
die Ausfallstraßen in Richtung Vorstadt, „Riesenasyle der kleinen Leute“
genannt, „von den Unterbeamten bis zu den Arbeitern, den Gewerbetreibenden und
den Existenzen, die verloren heißen, weil die anderen es sich gewonnen geben.“
    Wo sonst, wenn schon nicht an
der Bastille, zeigte sich gebündelter Volkszorn durch die Jahrhunderte hindurch
heftiger und kontinuierlicher als an der Place de la Nation? Zu Ehren Ludwig
XIV war der Platz im 17. Jahrhundert angelegt worden. Zu Zeiten der Revolution
wurde er in „Platz des gestürzten Thrones“ umbenannt, die Guillotine mit ihrem
grausigen Kopf-ab-Spektakel wurde hierher verbannt, als das Pariser Publikum
der Hinrichtungen überdrüssig geworden war. Innerhalb von nur sechs Wochen fiel
eintausenddreihundertsechsmal das Fallbeil. Ein schauriges Finale, in dessen
Verlauf der fachkundige und routinierte Scharfrichter Samson an einem einzigen
Tag innerhalb von nur 54 Minuten allein 24 Todesurteile vollstreckte.
    Um dem aufkommenden Unmut der
Bevölkerung kein Ventil zu lassen, war es nötig, an einer möglichst
nahegelegenen und verschwiegenen Stelle ein Massengrab zu schaffen, das man im
Garten des vormaligen Klosters von Picpus ausfindig machte. Der Name Picpus ist
von unbestimmter Herkunft. Wahrscheinlich hat er seinen Ursprung in einer zu
Beginn des 18. Jahrhunderts ausgebrochenen Epidemie, die mit dem äußeren
Kennzeichen von Eiterbläschen, den Pusteln, einherging. Der Friedhof, bis heute
allein den Nachfahren aus den Familien der Revolutionsopfer Vorbehalten, ist
ein ganz und gar tristes Terrain, dem der melancholische Charme der anderen
Totenstätten von Paris völlig fehlt. Aber warum sollte ausgerechnet ein
Friedhof in dieser trostlosen Gegend heimeliger sein als das graue Umfeld?
    Ausgerechnet dort, wo Köpfe
rollten und 1848 schließlich Aufständische den Thron Louis Philippes den
Flammen preisgaben, um erneut der Republik den Weg zu ebnen, da hielt sich
durch die Wirren der Jahrhunderte hindurch der Standplatz des populärsten
Jahrmarktes im ganzen Land, mit dem nicht ausrottbaren Namen „Thronmarkt“.
    Die Leser der Chronik unseres
Freundes Nestor Burma wissen ja inzwischen um sein Achterbahn-Abenteuer. Daß
die Foire du Thrône, der Thronmarkt also, Mitte der sechziger Jahre in den Wald
von Vincennes verlegt wurde, ist freilich weniger eine Folge dieses
Zwischenfalls als vielmehr (erneut) den städtebaulichen Erfordernissen der
Stadt zu verdanken. Ein an diesem regengrauen Märzsonntag mit einer Plane
verhangenes Karussell dient als letzte Nachhut des Rummelplatzes.
    „ Ringkämpfer ; Schießbuden,
Karamelbonbons, Lotteriebuden, Wahrsagen, Handlesen, Liebeshoroskop,
Schiffschaukeln, der Zwerg mit den zwei Köpfen, der Mann mit den tausend
Händen, das Riesenbaby, Emma mit ihren Schlangen,
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