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nmp12

nmp12

Titel: nmp12
Autoren: Unknown
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werfe ihn über. Nachdem ich den Boulevard
überquert habe und über die Treppe in den Bahnhof gerannt bin, sind die
Knitterfalten raus.
    Ich ziehe eine hübsche,
brandneue Bahnsteigkarte an dem hübschen, brandneuen Automaten. Komisches
Gefühl, dieses Stück Pappe von fünfzehn Quadratzentimetern in der Hand zu
halten. Fünfzehn Quadratzentimeter Erinnerungen! An die Art der Erinnerungen
wage ich nicht zu denken. Ich gehe durch die Sperre. Weiß der Teufel, warum ich
die Bahnsteigkarte immer noch in der Hand halte. Wirklich ‘n komisches Gefühl. Plötzlich wird
mir’s noch komischer: Neben dem Zeitungskiosk steht ein Kerl in meinem Alter.
Sein Regenmantel sieht genau so aus wie meiner. Und der Kerl sieht so aus, wie
er ist: humorlos und ruhig, wohlgenährt, mit nichtssagendem, ausdruckslosem
Gesicht, so warmherzig wie ‘n Eisberg. Ganz eindeutig ein Flic. Ich kenne ihn.
Und er mich auch. Heißt Grégoire, so ähnlich wie der Zwieback. An bestimmten
Tagen und in bestimmten Situationen genauso spröde, aber weniger gut
verdaulich. Inspektor Grégoire, einer der Leute meines Freundes Florimond
Faroux, des Kommissars bei der Kripo. Und wieder behält der Dichter recht: auf
dem Bahnhof trifft man die bizarrsten Gestalten.
    Der Flic paßt mir gar nicht in
den Kram. Warum, weiß ich nicht. Die Viertelstunde bis zur Ankunft des Zuges
aus Cannes hätte ich besser in einem Bistro totschlagen sollen. Aber die
Bahnhöfe und ich... Ihnen gehört meine große Liebe. Trotzdem. Werd mich lieber
aus dem Staub machen. Aber denkste! Grégoire ist immer im Dienst. Beruf
verpflichtet. Hat seine Augen überall. Er entdeckt mich, winkt mir freundlich
zu, und schon geben wir Pfötchen.
    „Alles klar?“ fragt der
Inspektor.
    „Alles klar.“
    „Sie wollen verreisen?“
    Sehr originell!
    Er zeigt auf die verdammte
Bahnsteigkarte, die ich immer noch in der Hand halte. Wie ‘ne Hostie.
    „Geht’s wieder los mit dem
Schwarzfahren?“
    Er weiß natürlich Bescheid. Wie
alle. Es gab mal ‘ne Zeit, da hab ich das Defizit der PLM ,
wie das damals hieß, ganz schön vergrößert. Ich erwidere sein Lächeln, was leicht
danebengeht. Immer meint man, man müßte ihnen etwas erklären. Auch wenn sie so
tun, als wollten sie gar nichts fragen. Also erkläre ich ihm, daß ich auf
Hélène warte, meine Sekretärin.
    „Sie hat sich an der Côte
d’Azur grillen lassen.“
    Er hebt eine Augenbraue:
    „Im Auftrag?“
    „Im Urlaub.“
    „Ziemlich früh für Urlaub, hm?“
    Ich sag’s ja: die wollen alles
ganz genau wissen!
    „Ja, ziemlich früh“, stimme ich
ihm zu.
    Ich verkneife mir die
Gegenfrage „Und Sie, was treiben Sie sich hier rum?“
    „Ja, ich verkneif’s mir.
Erstens, weil’s mir scheißegal ist; zweitens, weil ihm die Frage vielleicht
stinken würde. Aber Grégoire ist Gönner. Hat seinen freigebigen Tag. Er
vertraut mir an, daß er seine Frau und seine Nichte abholen will.
    „Sie werden’s vielleicht nicht
wissen, aber ich habe einen Bruder in Marseille. Die Kleine war noch nie in
Paris. Wird ‘n paar Monate bei uns bleiben.“
    Höflich äußere ich mich lobend
über seinen Familiensinn. Mit meinen Gedanken bin ich allerdings ganz woanders.
Grégoire dreht sich eine Zigarette und zündet sie an. Der Tabak riecht
schlecht. Wo ich doch so gerne, ja, fast wollüstig den Kohlegeruch einer
Lokomotive einatme, die auf dem Gleis neben mir rumtobt! Dieser Inspektor
versaut mir die ganze Freude. Um dagegen anzustinken, bring ich meine Pfeife
ins Spiel. Grégoire nimmt den Faden wieder auf:
    „Ich war seit damals nicht mehr
da.“
    Das ist keine Banalität. Auch
kein Versuch, einen Witz zu machen. So redet der Inspektor. ‘Ne Art
Geheimsprache.
    „Ich auch nicht“, antworte ich.
    Man sollte’s nicht meinen, aber
die Rede ist von Marseille. Das muß man natürlich wissen.
    „Stimmt“, sagt Grégoire, „wir
waren zusammen da.“
    „Ja.“
    „ Ziemlich
mysteriöse Geschichte , was?“
    „Ja.“
    „War ‘n Haufen Arbeit. Tja, hab
einfach keine Zeit gehabt, um hinzufahren.“
    „Ach ja?“
    „War wohl gerne mal
hingefahren. Was ich so gehört habe, von meinem Bruder und von Kollegen...
scheint nicht übel zu sein, die Stadt.“
    „Gar nicht übel, nein.“
    „Kennen Sie sich da aus?“
    „Nicht besonders.“
    Er nimmt die Zigarette aus dem
Mund und sieht sie an. Hat jetzt wohl auch gemerkt, welchen Scheißtabak er da
raucht. Angewidert wirft er sie auf den Boden, beinahe auf ein Paar
blankgeputzter Schuhe, das direkt
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