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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut
Autoren: H Dunmore
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Wann begreifen die Leute das endlich?«
    Roger rüttelt Mum sanft an der Schulter. »Komm schon, Jennie. Denk nicht mehr darüber nach. Streich es einfach aus deinem Gedächtnis. Wie werden sowieso nicht mehr am Riff tauchen. Dort gibt es nichts zu finden.«
    Mums Gesicht entspannt sich ein wenig.
    »Versprichst du mir das?«
    »Versprochen!«, sagt Roger. Ich sehe Mum an, wie erleichtert sie ist. Bevor wir mit dem Picknick beginnen, säubert sie Grays Wunde behutsam mit abgekochtem Wasser und einem Tupfer.
    »Wie merkwürdig«, murmelt sie. »Das sieht überhaupt nicht wie eine Schürfwunde aus. Eher, als hätte dich eine Katze gekratzt. Die Wunde ist tief. Ich fürchte, da wird eine Narbe zurückbleiben.«
    »Ich wusste gar nicht, dass es in Cornwall Meerkatzen gibt«, entgegnet Gray. Ein müder Witz, doch Mum lächelt. Als sie die antiseptische Creme aufträgt, zuckt er zusammen.
    »Es sieht aber wirklich wie eine Kratzspur aus … wir müssen darauf achten, dass sich die Wunde nicht entzündet.«
    »Solche Kratzer hatte ich zuletzt als Kind«, beginnt Roger gedankenverloren. »Ach, übrigens, Jennie, was hältst du davon, wenn wir irgendwann in dieser Woche mal zum Bauernhof rübergehen und ein paar Erkundigungen über Sadie einziehen?«
    »Es ist noch keine Entscheidung gefallen, Sapphire!«, sagt Mum hektisch. »Wir … wollen ihnen nur ein paar Fragen stellen. Jetzt guck mich nicht so an!«
    »Wie gucke ich dich denn an?«

    »Als wenn du sterben müsstest, wenn du sie nicht bekommst«, antwortet Conor. »Wart’s ab, Saph.«
    Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. Vielleicht haben es sich Jacks Eltern ja inzwischen anders überlegt. Wer würde einen Hund wie Sadie nicht gern behalten wollen? Ich könnte mir jedenfalls nicht im Traum vorstellen, sie wieder herzugeben, wenn sie erst mal mir gehört.
    »Jetzt mach nicht so ein verzweifeltes Gesicht, Saph«, sagt Roger. »Wir tun, was wir können.«
     
    In dieser Nacht schläft Roger auf unserem Sofa. Mitten in der Nacht schreit er plötzlich auf. Mum eilt die Treppe hinunter und ich höre sie eine Weile miteinander reden, doch ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Am Morgen, nachdem Roger gegangen ist, frage ich Mum, was los war.
    »Roger hatte einen Albtraum«, sagt sie.
    »Was für einen?«
    »Du weißt ja, wie das ist. Albträume ergeben keinen Sinn. Er träumte, er würde von einer Horde riesiger Robbenbullen gejagt und könnte ihnen nicht entkommen. Es muss ein schreckliches Gefühl gewesen sein. Er war schweißgebadet, als er aufwachte.«
    »Armer Roger.«
    »Es ist schön, dass du dir jetzt so viel Mühe mit ihm gibst«, sagt Mum anerkennend. »Weißt du, als wir über den Albtraum sprachen, da hat er plötzlich gesagt, wie dankbar er dir sei. Ist das nicht eine merkwürdige Aussage? Wofür soll er dir denn dankbar sein? Du hast doch nur aufgehört, ihn wie Luft zu behandeln … Geht’s dir gut, Sapphire? Du siehst ja so blass aus.«

    »Ist schon okay, Mum. Manchmal tut es beim Atmen etwas weh.«
    »Was für ein Schmerz ist das? Hast du das Gefühl, deine Brust ist wie zugeschnürt? Hol mal tief Luft und lass mich hören.«
    Als sie jung war, wollte Mum Krankenschwester werden, doch sie besaß nicht die nötigen Qualifikationen. Sie hat eine Erste-Hilfe-Ausbildung gemacht und immer gesagt, sie würde das gerne ausbauen. Doch bis jetzt findet ihre Weiterbildung ausschließlich zu Hause statt.
    »Meinen letzten Asthmaanfall hatte ich, als ich sechs war. Das fühlt sich anders an.«
    »Wie auch immer. Du solltest dir unbedingt mal einen ruhigen Tag gönnen, und zwar gleich morgen. Schau dir einen Film an, lies ein Buch. Conor und du, ihr seid wirklich ständig im Wasser. Am Ende wachsen euch noch Schwimmhäute. «
    »Ach, Mum …«
    »Ich meine es ernst.«
    »Wenn ich einen Hund hätte«, sage ich beiläufig und werfe Mum einen verstohlenen Blick zu, »dann würde ich es mir noch lieber zu Hause gemütlich machen. Wenn ich nicht gerade mit ihr spazieren gehe.«
    Fast kann ich diesen Gedanken über Mums Gesicht wandern sehen. Sapphire hat Recht. Wenn sie einen Hund hätte, um den sie sich kümmern müsste, dann würde sie nicht dauernd zur Bucht hinunterlaufen.
    Ich füge dem nichts hinzu. Mum braucht immer ein wenig Zeit, sich an einen neuen Gedanken zu gewöhnen.
    Wenn Sadie hier wäre, dann könnte ich ihr alles erzählen. Ich könnte in ihre weichen Ohren flüstern und sie würde mir
aufmerksam zuhören. Bestimmt würde sie auch ein bisschen verstehen.
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