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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut
Autoren: H Dunmore
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machte mir Angst.

    Heute ist Mittsommernacht und bei Anbruch der Dunkelheit wird auf Carrack Down ein großes Feuer entzündet. Jedes Jahr am Mittsommerabend gehen wir dorthinauf. Ich liebe es, wenn die Blumenkränze ins Feuer geworfen werden und kurz auflodern, sodass es für Sekunden so aussieht, als wären die Blumen aus Flammen gemacht. Das Feuer leuchtet und alle trinken und tanzen, lachen und reden. Die Mittsommernacht ist so kurz, dass es bereits zu dämmern anfängt, bevor das Fest vorbei ist.
    Dad ist jetzt oben auf dem Hügel und hilft bei der Vorbereitung des Feuers. Sie schichten Stechginster und Reisig so hoch auf, dass der Stapel mich und Conor überragt. Conor ist mein Bruder und zwei Jahre älter als ich.
    »Komm mit, Saph! Lass uns nachschauen, wie groß der Haufen schon ist.«
    Ich laufe hinter Conor her, wie üblich. Conor ist weit vor mir, und ich versuche, ihn einzuholen.
    »Con, warte doch!«

    Wir beobachten, wie die Sonne untergeht und immer mehr Leute zusammenströmen. Dann ist es Zeit, das Mittsommerfeuer zu entzünden. Der erste Stern funkelt am Himmel. Geoff Treyarnon stößt seine brennende Fackel in das trockene Herz des Reisigstapels. Das Feuer flammt auf, und alle nehmen sich an den Händen und beginnen, um das
Feuer herumzutanzen, immer schneller und schneller. Die Flammen schießen in die Höhe, bis über die Köpfe der Leute hinweg, sodass wir zurückspringen müssen.
    Conor und ich reihen uns in den Ring ein. Mum und Dad tanzen auch und halten sich an den Händen. Ich bin so froh, wenn ich sehe, wie sie tanzen und sich zulächeln. Wenn es doch immer so wäre. Kein Streit, keine lauten Stimmen …
    Immer höher schlagen die Flammen, alle rufen und lachen. Conor trinkt eine Flasche Bier, aber mir schmeckt Bier nicht. In eine Wolldecke gewickelt, setze ich mich ans Feuer und schaue zu, bis die Flammen zu orangeroten und goldenen Farben verschwimmen. Meine Augen brennen und ich schließe sie für einen Moment. Das Feuer schmilzt zu einer samtenen Schwärze, in der die Sterne funkeln. Ich würde sie gerne zählen, aber sie tanzen zu schnell vor meinen Augen …
    Ich muss geschlafen haben, denn plötzlich steht Dad vor mir und will mich mitnehmen. Wie aus dem Nichts war er aus der Dunkelheit gekommen.
    »Alles klar, Sapphy? Halt dich gut fest, ich trag dich nach Hause.«
    Eigentlich bin ich zu groß, um getragen zu werden, aber heute ist Mittsommernacht, und Dad sagt, in dieser einen Nacht können alle Regeln gebrochen werden. Er nimmt mich auf den Arm, während ich immer noch in die Decke gewickelt bin, aus der meine Füße herausgucken. Ich schaue über seine Schulter hinweg. Von dem Feuer ist nur ein Haufen glühender Asche übrig geblieben. Die Leute sitzen immer noch im Kreis und trinken, getanzt wird jedoch nicht mehr.
    Der Weg zu unserem Haus ist holperig und steil, doch
Dad wird mich schon nicht fallen lassen. Er ist sehr stark. Er fährt bei jedem Wetter mit dem Boot hinaus und kann mehr als drei Meilen weit schwimmen. Man hat ihm sogar eine Lebensrettermedaille verliehen.
    Mum und Conor gehen voraus. Sie unterhalten sich, aber ich kann nicht hören, was sie sagen. Ich schlinge meine Arme um Dads Nacken und schmiege mich an ihn – nicht nur weil der Weg so holperig ist, sondern weil ich ihn lieb habe. In seinen Armen fühle ich mich sicher.
    Dad fängt zu singen an. Er singt O Peggy Gordon. Seine Stimme schallt laut und sanft durch die Sommernacht.
    Ach wäre ich doch in Indigo
und teilte die salzige See
in den tiefsten Fluten …
    Ich liebe es, wenn Dad singt. Er hat eine großartige Stimme, und die Leute sagen, er sollte im Kirchenchor singen, aber darüber lacht er bloß.
    »Ich singe lieber an der frischen Luft«, sagt er. Wenn er im Garten arbeitet, bleiben die Leute an unserem Zaun stehen, um ihm zuzuhören. Dad singt auch gern im Pub.
    Mum, Dad, Conor und ich. Wir alle kommen in dieser Sommernacht sicher nach Hause.
    Unsere Familie besteht aus zwei Hälften. Auf der einen Seite Conor und Mum, die besonnen und vernünftig sind und immer das tun, was sie sagen. Auf der anderen Seite ich und mein Dad. Wir sind so leicht entflammbar wie das Mittsommerfeuer, verlieren schon mal die Beherrschung und sagen Dinge, die wir nicht sagen sollten. Manchmal wissen wir gar nicht, was wir tun, bis wir es getan haben. Ab und zu
greife ich auch zu einer Notlüge, was Conor niemals tun würde. Er sagt einem die Wahrheit mitten ins Gesicht. Man muss sich nur daran gewöhnen.
    Aber es
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