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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland
Autoren: Jan Guillou
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aufhören«, sagte er mit rauher Stimme.
    »Ich auch, mir ist leicht übel«, erwiderte sie mit abgewandtem Gesicht, als wollte sie ihm den Dienst erweisen, nicht zuzusehen, wenn er weinte.
    Sie fuhren auf einen Rastplatz mit zwei überquellenden Mülltonnen, einem Holztisch und festen Bänken. Diese standen natürlich neben den Mülltonnen. Ein Elternpaar schien in einem Kampf um Recht und Ordnung mit fünf lärmenden und zankenden Kindern hoffnungslos zu unterliegen.
    Carl parkte in beruhigendem Abstand, ging nach amerikanischer Manier um den Wagen herum, hielt ihr die Tür auf und nahm sie in die Arme, als sie ausstieg. Sie legte ihm die Wange an die Brust, und er hielt sie vorsichtig an dem dicken mexikanischen Zopf.
    Sie blieben lange so stehen, ohne etwas zu sagen, als müßten sie sich ausruhen.
    »Es ist jetzt vorbei. Hörst du, geliebte Tessie, es ist vorbei jetzt«, flüsterte er, als er schließlich spürte, daß er Stimme und Gefühle wieder unter Kontrolle hatte.
    »O nein«, kicherte sie. »Wenn du zum Katholizismus konvertieren willst, fängt es jetzt erst an, für dich richtig hart zu werden.«
    Er glaubte sich erst verhört zu haben, nahm ihre Wangen behutsam zwischen die Hände und drehte ihr Gesicht nach oben, um an ihren Augen zu sehen, was sie gemeint hatte. Sie sah fröhlich aus, und er begriff nichts.
    »Wollen Sie so nett sein, Frau Anwältin, mir diese letzte Bemerkung zu erklären?« sagte er.
    »Aber gern. Du sagtest, ich sollte vor dem Gesetz und vor dem katholischen Gott deine Frau werden. Man beachte diesen zweiten Teil, und ich habe vorhin gesagt, du würdest bei einer passenden Gelegenheit Antwort erhalten.«
    »Ja. Und? Akzeptiert der katholische Gott denn keine schwedischen Pastoren?«
    »Nein. Du müßtest erst konvertieren, dich vermutlich sogar taufen lassen und zur Erstkommunion gehen.«
    »Dich soll der Teufel holen.«
    »O nein, ganz und gar nicht, und du machst deine Lage auch nicht besser, indem du lästerst.«
    »Nein, natürlich nicht, aber wir Schweden haben eine etwas leichtsinnigere Einstellung zu diesen Dingen. Wir haben Pastoren, die nicht an Gott glauben, aber jederzeit bereit sind, Prominente in Jeans zu trauen, falls es gewünscht wird. Du kannst sogar eine Pastorin bekommen, die nicht an Gott glaubt, uns aber trotzdem traut.«
    »Nein danke. Ich bin zwar Feministin mit allem Drum und Dran, aber irgendwo muß es trotzdem eine Grenze geben.«
    »Das ist eine rigide Einstellung. In Schweden würde man sie sogar reaktionär nennen, denn bei uns kommt die Gleichberechtigung sogar noch vor Gott.«
    »Du hast also nicht vor, zu konvertieren?«
    »Sag mal, du träumst wohl!«
    »Dann können wir nicht vor dem katholischen Gott heiraten, wie du gesagt hast.«
    »Ach. Jetzt frage ich dich noch einmal. Ja, ich muß die Frage modifizieren, aber trotzdem. Willst du oder willst du nicht… vor dem schwedischen Gesetz meine Frau werden?«
    Sie lachte auf und machte sich frei, ergriff die Revers seiner Wildlederjacke und schüttelte ihn lachend hin und her. Er wehrte sich nicht, so daß er durch ihre Bewegungen hin und her schwankte.
    »Du hast einen einzigartigen Sinn für Romantik, Seemann«, lachte sie.
    »Schon möglich«, versuchte er mit gespieltem Ernst, »aber die Frage ist gestellt, und ich möchte die Frau Anwältin daran erinnern, daß Sie unter Eid steht. Wir warten gespannt auf die Antwort. Wie lautet sie also?«
    »Ja!«
    »Gut. Und wann?«
    »Jederzeit.«
    Sie lachten, umarmten sich von neuem und wirbelten ein paar Mal engumschlungen wie in einem Tanz herum, so daß sie die Aufmerksamkeit der Familie erregten, die sich gerade über ihren Lunch hermachte.
    Einer der Teenager entdeckte Carl als erster, zeigte auf ihn und redete aufgeregt, und einige Augenblicke später waren die Kinder bei ihnen und wollten Autogramme, obwohl sie weder Papier noch Bleistift hatten. Carl wurde verlegen, wollte aber nicht unfreundlich sein. Er sagte, wenn sie etwas zum Schreiben besorgen könnten, würde er ihren Wunsch gern erfüllen. Es dauerte eine Weile, bis einer der Teenager einen karierten Block und einen Kunststoffkugelschreiber hervorgekramt hatte. Carl schrieb auf dem Rücken eines der Kinder kleine Freundlichkeiten für alle, hübsch der Reihe nach. Sie nahmen die Zettel mit großen Augen in Empfang, als wären es Wertpapiere, und verstummten dann schüchtern. Ihre Eltern standen etwas abseits und machten den Eindruck, als wollten sie auch hinzukommen, trauten sich aber
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