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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland
Autoren: Jan Guillou
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eigentliche Todesursache gewesen war: eine massive radioaktive Strahlendosis.
    An den nächsten Tagen kam es zu einer umfassenden und ein wenig von Panik geprägten Tätigkeit. Einmal wurde der Obduktionssaal saniert, zum andern wurden sorgfältigere Messungen durchgeführt, um festzustellen, woher die Strahlung stammte.
    Die Antwort war ebenso deprimierend wie erschreckend. Strahlungsquelle war das Element Plutonium.
    Plutonium ist ein sehr schweres Element und hat überdies eine Reihe spezifischer Eigenschaften. Es ist eine der tödlichsten Substanzen der Erde. Schon äußerst kleine Mengen, theoretisch schon ein tausendstel Gramm, können einen Menschen töten. Die Halbwertzeit beträgt 24 000 Jahre. Hauptsächlicher Verwendungszweck von Plutonium: Kernwaffen.
    Es bestand weder Anlaß noch gab es überhaupt eine praktische Möglichkeit, exakte Berechnungen anzustellen, und die umfassende und heimlich durchgeführte Sanierung der Räume mußte allem anderen vorgehen. Doch es war so gut wie sicher, daß der Tote mit der tödlichen Substanz in direkte Berührung gekommen war. Das erklärte die Brand oder Ätzspuren an den nicht von Tieren befallenen Teilen der Haut des Toten. Insoweit gab es keine Unklarheiten.
    Wo jedoch diese Kontamination stattgefunden hatte, ließ sich nicht feststellen, nur vermuten. Da es im Norden Finnlands keine Kernwaffen und folglich auch kein Kernwaffenplutonium gibt, mußte sich der Unfall in dem Teil der Welt ereignet haben, der die größte Kernwaffendichte des Globus aufweist: in der Region Murmansk auf der anderen Seite der Grenze.
    Wie der Mann jedoch nach Finnland gekommen war, blieb ein Rätsel.
    Er fuhr langsam, wie es die Geschwindigkeitsbeschränkungen vorschrieben, oder nur unbedeutend schneller, wie es seinem Temperament entsprach, da er jede Aufmerksamkeit vermeiden wollte. Sie würden acht Stunden für die Fahrt nach Kivik brauchen. Sie hatten also viel Zeit, reichlich Zeit für Gespräche.
    Ihm war bewußt, daß sie früher oder später damit anfangen würde, ihm bohrende Fragen nach Details zu stellen, doch das bereitete ihm kaum Kopfzerbrechen. Er fühlte sich innerlich vollkommen kühl, da alles vorbei war und da für ihn sowohl beruflich wie privat eine völlig neue Phase seines Lebens begann.
    Der Gedanke machte ihn leicht aufgekratzt, und er bekam ein Gefühl, als hätte er gerade das Abitur hinter sich gebracht. Die Zukunft wurde heller und gehörte ihnen. Von jetzt an konnten sie mit aller Kraft auf ihr Privatleben setzen, auf das, was er zu ihrem Verdruß das zivile Leben nannte. Denn das, was sie auf ihre typisch amerikanische Weise sein killing business nannte, war vorbei. Von jetzt an war er so etwas wie ein Bürokrat, in der Praxis stellvertretender Chef. Er erzählte bedächtig, ohne sich sonderlich um Argumente zu bemühen.
    Damit verfolgte er unter anderem die Absicht, sie von eingehenderen Verhören darüber abzuhalten, was auf Sizilien passiert war. Bis jetzt hatte er alle Gespräche dieser Art aufgeschoben, und zwar mit dem Hinweis, es werde sich eine bessere Gelegenheit dafür finden.
    Kaum hatten sie Södertälje hinter sich gelassen, bemerkte sie, daß sich eine bessere Gelegenheit kaum ergeben könne. Dagegen ließ sich nichts einwenden.
    Also. Dreißig Tote? Frauen und Kinder?
    »Dir ist natürlich klar«, begann er langsam, »daß ich wie immer ein Hintertürchen in Gestalt von Geheimhaltung, Verhältnis zu einer fremden Macht und all dem habe.«
    »Wage es nicht, mir damit zu kommen«, brummelte sie.
    »Nein«, erwiderte er, »das würde ich kaum wagen. Dann nehmen wir es hübsch der Reihe nach, wenn du nichts dagegen hast. Erstens. Wie du sicher schon weißt, war ich nicht allein dort unten, und…«
    »Aber du hast die entscheidende Verantwortung gehabt. Du warst doch wohl der kommandierende Offizier des schwedischen Militärs. Und demnach militärisch, juristisch und moralisch verantwortlich?«
    »Ja, das stimmt. Aber sei so nett und unterbrich mich nicht dauernd. Zweitens haben wir mit den italienischen Streitkräften und der Polizei zusammengearbeitet. Wir konnten ohne deren Billigung in dieser oder jener Form nichts unternehmen. Drittens verhält es sich so, daß italienische Militärs für die Geschichte mit den Frauen und Kindern verantwortlich sind. Sie haben uns und unsere Anwesenheit nur als Cover benutzt, um eigene offene Rechnungen zu begleichen.«
    »Du hattest also nur bitteren Kaffee getrunken und obskure Spaghettigerichte gegessen,
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