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Niemand kennt mich so wie du

Niemand kennt mich so wie du

Titel: Niemand kennt mich so wie du
Autoren: Anna McPartlin
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die ganze Familie lächelte; nur Eve machte ein mürrisches Gesicht. Sie war sechs gewesen und Clooney acht, und sie erinnerte sich noch genau daran, wie entnervt der Fotograf gewesen war, weil sie sich weigerte zu lächeln, wenn er «Cheese» sagte.
    «Wenn man Cheese sagt, muss man einfach lächeln», sagte er.
    «Das ergibt doch keinen Sinn», antwortete Eve.
    «Warum möchtest du denn nicht lächeln?»
    «Weil mir nicht danach ist.»
    «Wenn du nicht lächelst, kann ich aber kein Bild von dir machen.»
    «Können Sie wohl. Sie müssen nur den Knopf drücken.»
    «Es ist doch nur für eine Sekunde. Davon fällt dir nicht gleich das Gesicht auseinander. Versprochen.»
    «Mum? Wieso kann er nicht einfach seine Arbeit machen und wieder verschwinden?»
    Ihre Mutter erklärte dem Mann, dass Eve es hasste, fotografiert zu werden.
    «Wir haben alle unsere kleinen Macken», sagte sie, um Eves Launenhaftigkeit zu entschuldigen.
    «Hören Sie, meine Liebe, ich verlange von dem Kind schließlich weder, ein Flugzeug zu fliegen, noch, in den Liffey zu springen. Ich möchte lediglich, dass sie ihre Mundwinkel in Richtung Augen hebt.»
    Ihr Vater befahl Eve mit einem Tonfall zu lächeln, den er immer anschlug, wenn er es ernst meinte. Der Fotograf verharrte hinter der Kamera, und in dem Augenblick, als es «Klick!» machte, streckte Eve die Zunge heraus. Er blieb unbeeindruckt. Clooney fand es lustig. Ihr Vater ermahnte sie drohend, sich augenblicklich zu benehmen, aber Eve dachte nicht daran, und ihre Mutter war erschöpft, also wurde der Fotograf angewiesen, ein letztes Bild zu schießen, ob Eve lächelte oder nicht. Er tat, was von ihm verlangt wurde: Drei strahlten, als hätten sie gerade im Lotto gewonnen, und Eve machte ein Gesicht, als wäre eben jemand gestorben. So sah sie auf den meisten Fotos aus, und würde man nach diesen Aufnahmen urteilen, könnte man meinen, Eve wäre eine übellaunige kleine Heulsuse gewesen, doch das Gegenteil stimmte. Die meiste Zeit war sie vom Leben, von sich selbst und der Welt, die sie umgab, entzückt. Dieses Entzücken verschwand nur, wenn eine Kamera auf sie gerichtet war. Doch nach dem Tod ihrer Mutter wurden diese Gelegenheiten selten, denn wie sich herausstellte, hasste Eves Vater Fotoapparate ebenso sehr, wie seine Tochter es tat, und so hatte selbst dieses Unglück sein Gutes gehabt.
    Eve ging von Zimmer zu Zimmer, schritt über den alten Holzfußboden und ließ ihren Erinnerungen freien Lauf. Obwohl die Küche inzwischen renoviert worden war, glitt Eve mühelos in der Zeit zurück, als sie die Augen schloss und ganz still in der Mitte des Raumes verharrte – dort, wo früher der große Esstisch gestanden hatte. Sie hatte den Geruch der angebrannten Chilitomatensoße in der Nase, an der ihr Vater sich versucht hatte. Sie sah ihn, wie er sich in seiner mit Marienkäfern bedruckten Schürze über den Topf beugte und hektisch rührte. Er war voller Soßenspritzer und warf Nudeln an die Wand, weil er darauf beharrte, dass sie fertig waren, wenn sie kleben blieben.
    «Kinder! Gleich fliegt hier alles an die Decke!»
    Dann sah sie Clooney, Eve und Lily am Esstisch sitzen. Ihr Vater nahm ein altes Radio auseinander, das er in einer Mülltonne gefunden hatte, und aß gleichzeitig mit einer Hand. Sie konnte sogar das Radio hören, das er auf wunderbare Weise repariert hatte, während er gleichzeitig einen Teller klebrige Nudeln mit angebrannter Soße vertilgte. Eves Vater hatte immer sein Bestes gegeben, und seine Kinder hatten im Grunde nicht sonderlich unter seiner mangelnden Kochkunst gelitten, denn sie kannten es nicht anders, weil auch ihre Mutter keine große Köchin gewesen war. Eve hatte einmal mitbekommen, wie ihre Tante zu ihrem Onkel Rory sagte: «Du lieber Gott, diese Kinder würden sogar gebratenen Mist essen, wenn ihr Vater ihn lächelnd serviert.» Sie hatte recht, und die arme Lily, tja, für sie strahlte Eves Vater sowieso wie Sonne, Mond und Sterne zugleich. Er war lieb zu ihr und machte sie stillschweigend zu einem Mitglied seiner Familie. Sie nannte ihn nicht nur Danny, weil er Danny hieß, sondern auch, weil Danny fast wie Daddy klang. Und weil Eve ihrer Freundin, so lange sie denken konnte, schon immer alles nachgemacht hatte, wurde ihr Vater auch für sie schon früh zu Danny. In diesem Haus gab es keine einzige Erinnerung, die Lily nicht auf irgendeine Weise mit einschloss.
    Eve trat an die Glastüren, die auf die gepflasterte Terrasse hinausführten, und fing auf
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