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Niemand kennt mich so wie du

Niemand kennt mich so wie du

Titel: Niemand kennt mich so wie du
Autoren: Anna McPartlin
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zweiundsechzig Jahre alt geworden und bis zu dem Tag seiner Krebsdiagnose der fröhliche, gesunde, vielbeschäftigte Mann geblieben, der er immer gewesen war. Er arbeitete immer noch als Investmentbanker, er war immer noch verrückt nach Booten und Golf und widmete sich beidem, wann immer er die Gelegenheit dazu bekam. Er hatte eine Freundin namens Jean, eine Frau Mitte fünfzig. Die Beziehung war noch jung, doch sie hatten viele Gemeinsamkeiten, und er mochte sie sehr. Er verreiste noch immer und besuchte Eve mindestens dreimal im Jahr in New York. Bei seinem letzten Besuch brachte er Jean mit, und die beiden wirkten sehr verliebt. Ihm machte seit einer ganzen Weile der Rücken zu schaffen. Vor einigen Jahren war bei ihm Diabetes vom Typ 2 diagnostiziert worden, und obwohl er die Erkrankung anfänglich gut im Griff hatte, spielten seit einiger Zeit seine Blutzuckerwerte verrückt. Seine Tage begannen und endeten mit Übelkeit, und auf Jeans Drängen hin suchte er schließlich seinen Hausarzt auf. Zwei Wochen später, am 16. August, bekam er die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Jean war diejenige, die Eve in New York anrief.
    «Hallo, Eve?»
    «Ja, hallo?»
    «Hier spricht Jean … McCormack … die … äh … die Freundin deines Vaters.»
    «Oh, Jean, hallo, wie geht es dir?»
    «Ja, also, mir geht es gut. Danke. Danke, nett, dass du fragst.» Sie klang seltsam, und man musste kein Genie sein, um zu merken, dass dies kein Höflichkeitsanruf war.
    «Was ist los, Jean?»
    «Es geht um deinen Vater, Liebes.» Sie klang, als würde sie sich bemühen, nicht in Tränen auszubrechen.
    «Was ist mit ihm?» Eves Herz schlug schneller, ihr wurde heiß, und das Blut, das eben noch in ihrem Kopf gewesen war, sauste ihr in die Füße. Sie musste sich an einem Stuhl festhalten. Nun spuck’s schon aus, Jean, Himmel noch mal!
    «Er hat Krebs.»
    «Oh nein!»
    «Es ist die Bauchspeicheldrüse.»
    «Oh nein!»
    «Du musst nach Hause kommen, Liebes.»
    «Was ist mit Clooney?»
    «Bitte sorg dafür, dass er auch nach Hause kommt.» Dann brach Jean zusammen, und Eve hörte sich selbst dabei zu, wie sie die Freundin ihres Vaters tröstete, während sie die ganze Zeit das Gefühl hatte, im Nebenzimmer zu stehen und ein fremdes Telefonat zu belauschen.
    «Alles wird gut, Jean, es wird alles wieder gut. Ich rufe Clooney an, und wir kommen nach Hause, und wir kümmern uns um ihn, und bald geht es ihm wieder gut, weil ich Geld habe und bezahlen kann, was immer es kostet. Du kannst dich wieder beruhigen, ich kümmere mich darum. Okay?»
    «Okay, Liebes», sagte Jean. «Okay.»
    Doch sie hatte es bereits gewusst. Sie hatte gewusst, dass kein Geld der Welt Eves Vater mehr retten konnte, und sie tat das Einzige, was sie noch tun konnte: Sie sorgte dafür, dass die Menschen da waren, die er liebte und die ihn liebten, bis er zwei Monate später starb. Nach der Diagnose ging es mit seinem Gesundheitszustand rapide bergab, und so waren diese letzten beiden Monate sehr außergewöhnlich. Eve und Clooney hatten seit jenem Sommer im Jahr 1990 nicht mehr zu Hause gelebt. Ihr Vater wollte weder ins Krankenhaus noch in ein Hospiz, und so war es nur sinnvoll, dass sie während der Zeit, die ihm noch blieb, zusammenwohnten. Eves Geld konnte ihn zwar nicht retten, doch es ermöglichte rund um die Uhr die Pflege, die er brauchte.
    Clooney traf zwei Tage nach Eve zu Hause ein. Trotz der Bräune wirkte er aschfahl, und noch als sie sich am Flughafen umarmten, gruben sich neue Fältchen in die Partie um seine Augen. An jenem Abend betrank er sich und weinte wie ein kleines Kind. Eve erstellte Listen mit Dingen, die zu tun und zu besorgen waren, und stattete das Zimmer, in dem ihre Mutter gestorben war, mit allen Bequemlichkeiten aus, die nötig waren, um ihrem Vater das Sterben zu erleichtern. Innerhalb einer Woche war der Raum eingerichtet wie ein hochmodernes Krankenhauszimmer. Eves Vater war fröhlich, und wenn er zornig oder verbittert war, ließ er sich nichts anmerken. Es wirkte aufrichtig und glaubwürdig, nur ab und zu, wenn er dachte, er wäre allein zu Haus, schrie und brüllte er, und manchmal schluchzte er so heftig, dass Eve ihren Bruder vor seiner Zimmertür zurückhalten musste.
    «Er braucht das», sagte sie.
    «Er braucht uns», hatte Clooney geantwortet.
    «Wann warst du das letzte Mal froh darüber, beim Heulen Publikum zu haben?», erwiderte sie, und Clooney nickte und ließ seinen Vater in Ruhe.
    Wenn sie bei ihm
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