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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition)
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Dieu, quel con!«
    »En foire!«
    Und so weiter, unablässig. Und alles natürlich, ohne jemals die herabhängende Gauloise aus dem Mundwinkel zu nehmen. Dazu unablässig Fastzusammenstöße. Bremsen auf kreischenden Pneus. Anfahren mit einem Ruck, der Sie in den Fond zurückwirft. Fahrmanöver Ihres Chauffeurs, bei denen Sie zuletzt nur noch beten möchten. Sagen Sie ihm bloß nicht, er solle vorsichtiger fahren. Er tut es gewiß nicht. Er wird Ihnen nur vorschlagen, sich doch selber ans Steuer zu setzen und seinen gottverfluchten Kübel zu lenken oder, viel wahrscheinlicher, Ihre Frau Mama aufs Kreuz zu legen.
    Ich hatte das schon so oft erlebt, daß ich es kaum mehr wahrnahm. Außerdem war ich beschäftigt. Ich sah dauernd durch das Rückfenster, durch die Seitenfenster. Folgte mir einer von den Kerlen? Folgten mir mehrere? Wenn ja, mußte ich ganz sicher sein, daß ich sie abschüttelte. Bisher war es mir gelungen. Auch gestern in Zürich, nach der Pressekonferenz im DOLDER. Ich war heute früh erst um halb zwei Uhr morgens ins LE MONDE gekommen. Da war die erste Panne allerdings schon passiert gewesen.
    Clarissa, das Kindermädchen, und Bracken hatten auf mich gewartet, Bracken leicht betrunken. Sie hatten in dem strahlend erleuchteten Salon des Appartements gewartet, in dem Sylvia seit Jahren mit mir wohnte, wenn wir in Paris waren. Ein kleiner, kahler Mann mit dicken Brillengläsern und unendlich traurigem, unendlich gütigem Gesicht war auch noch dagewesen. Diesen Mann kannte ich.
    »Herr Doktor Lévy! Was machen Sie hier?«
    Er hatte mir gesagt, was er hier machte.
    Das war heute um halb zwei Uhr früh gewesen.
    Nun, am Abend desselben Tages, saß ich in Taxis. Aus dem ersten war ich an der Place de la Concorde ausgestiegen und hatte das Taxi gewechselt. Ich war auf dem linken Seineufer den Quai d’Orsay und anschließend den Quai Branly in Richtung Westen entlanggefahren und über den Pont de Jéna zurück auf das andere Ufer. Neues Taxi. Der Chauffeur hatte noch amüsanter geflucht als sein Kollege, er mußte Umwege machen, um über die Place du Trocadéro die Avenue Poincaré zu erreichen und nach Norden hinaufzufahren. Neues Taxi bei der Kreuzung Avenue Foch. Nun durch den Bois de Boulogne und dann zur Porte de Madrid. Ich war praktisch in einem großen Kreis gefahren, und ich war beruhigt: Niemand folgte mir. Durch den scheußlichen Regen, gegen den widerlichen Sturm gestemmt, war ich nun zu Fuß gegangen. Es ist ein kurzer Weg bis zum Boulevard Richard Wallace. Keine Menschenseele hier. Aber so viel Regen, daß ich schon nach zwei Minuten beschmutzte Schuhe und durchweichte Hosenbeine hatte und einen von Nässe dunkel gewordenen Regenmantel. Als ich dann endlich den Boulevard Richard Wallace hochging, war ich bereits total verdreckt. Mein Mantel, pelzgefüttert, glänzte. Von meinem Hut troff Wasser. Immer wieder rutschte ich aus. Ich fluchte ärger als alle Taxichauffeure, mit denen ich gefahren war, zusammen. Dann kam endlich die Rue Cavé. Dann stand ich vor dem hohen Schmiedeeisentor und klingelte.
    Und dann erklang, in vier Sprachen, die metallen-erotische Frauenstimme aus der Sprechanlage: »Guten Tag, Sie werden gebeten, vor das Milchglasfenster im linken Torpfeiler zu treten …«

2
    J etzt hatte ich den Park hinter mir. Ein Herrensitz, erbaut etwa um 1880, 1890. Das ist die Zeit, in der ich mir immer wünsche, gelebt zu haben. Pferdedroschken und Gaslicht. Oscar Wilde, der ja für sein ›Bildnis des Dorian Gray‹ auch von mir einige Anregungen hätte empfangen können. Welch eine Zeit! Wenn damals Lichter erloschen, dann war dies nicht die Folge einer Energiekrise, und wenn damals Vorhänge fielen, dann waren sie aus diskreter Seide und nicht aus Eisen …
    Eine breite Steintreppe also hoch. Rechts und links auf dem Steingeländer Putten. Grell wie ein Fotoblitz flammte noch einmal Licht über mir auf. Dann öffnete sich die große Pforte des Eingangs wie von Geisterhand. Elektronisch, alles elektronisch hier. Ich trat ein. Ich wußte ja, was mich erwartete. Aber heute nacht noch war es ein Schock für mich gewesen: Das, was außen aussah wie ein verwunschenes Schlößchen des Fin de siècle, war innen eine ultramoderne Klinik.
    Alles weiß, Stahl und Chrom. Gänge. Türen mit Aufschriften: LABOR I – EKG – ANAESTHESIE – LABOR II – CHEFARZT – OP I – RÖNTGEN – OP II – INTERN – OP III. Über den drei Operationssaaltüren Rotlicht. Ausgeschaltet jetzt. Hier auf
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