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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Autoren: Annick Cojean
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Amazonen mit Neugier, Faszination oder auch Heiterkeit beäugt wurden, derselbe Muammar Gaddafi in seiner weitläufigen Residenz von Bab al-Aziziya – vielmehr in deren feuchten Kellern – junge Mädchen gefangen hielt, die, als sie dort ankamen, noch Kinder waren.

Erster Teil
    Sorayas Bericht

1
Kindheit
    Ich bin in Marag geboren, einer Ortschaft in der Region des Djabal Akhdar, des Grünen Berges, nicht weit von der ägyptischen Grenze. Am 17. Februar 1989. Ja, genau am 17. Februar! Welcher Libyer kennt heute nicht dieses Datum: An diesem Tag im Jahr 2011 begann die Revolution, die Gaddafi gestürzt hat. Ein Tag also, dazu bestimmt, unser Nationalfeiertag zu werden, und dieser Gedanke gefällt mir.
    Drei Brüder waren vor mir geboren, zwei weitere und eine kleine Schwester sollten nach mir kommen. Aber ich war das erste Mädchen, und mein Vater war verrückt vor Freude. Er wollte eine Tochter. Er wollte eine Soraya. Schon lange vor seiner Heirat stellte er sich diesen Namen vor. Und er hat mir oft erzählt, wie gerührt er in dem Augenblick war, als er mich zum ersten Mal sah. »Du warst hübsch! So hübsch!«, sagte er immer wieder. Und so glücklich war er, dass er die Feier, die traditionell am siebten Tag nach der Geburt stattfindet, groß wie ein Hochzeitsfest aufzog. Das Haus war voller Gäste, von Musik erfüllt, es gab ein riesiges Buffet ... Er wollte alles für seine Tochter, die gleichen Chancen, die gleichen Rechte wie meine Brüder. Selbst heute noch sagt er, er habe davon geträumt, dass ich Ärztin werde. Und er hat mich auch gedrängt, mich an einem naturwissenschaftlich ausgerichteten Gymnasium anzumelden. Wenn mein Leben einen normalen Verlauf genommen hätte, hätte ich in der Tat vielleichtMedizin studiert. Wer weiß? Aber man erzähle mir nichts von Gleichberechtigung gegenüber meinen Brüdern. Das nun wieder auch nicht! Keine Frau in Libyen kann an dieses Märchen glauben. Man braucht sich bloß anzusehen, wie meine immerhin sehr moderne Mutter am Ende auf die meisten ihrer Träume hat verzichten müssen.
    Und sie hatte sehr große Träume. Alle sind sie zerbrochen. Sie wurde in Marokko geboren, bei ihrer Großmutter, die sie über alles liebte. Aber ihre Eltern waren Tunesier. So wuchs sie mit vielen Freiheiten auf und durfte als junges Mädchen sogar für ein Praktikum in einem Frisiersalon nach Paris gehen. Ein Traum, nicht wahr? Dort hat sie auch Papa kennengelernt, bei einem großen Diner an einem Abend des Ramadan. Er war damals Angestellter der libyschen Botschaft, und auch er liebte Paris. Wie leicht, wie fröhlich war hier die Atmosphäre im Vergleich zum bedrückenden Klima in Libyen. Er hätte Sprachkurse bei der Alliance française belegen können, wie man ihm anbot, aber er war viel zu sorglos und ging lieber aus, bummelte durch die Stadt, kostete jede Minute Freiheit aus, sog sie in vollen Zügen ein. Heute bedauert er, nicht Französisch sprechen zu können. Das hätte unser Leben ganz gewiss verändert. Auf jeden Fall aber hat er sich, als er Mama kennenlernte, sehr bald entschieden. Er hat um ihre Hand angehalten, die Hochzeit fand in Fez statt, wo die Großmutter immer noch lebte, und dann kehrte er mit seiner jungen Frau stolz nach Libyen zurück.
    Was für ein Schock für meine Mutter! Sie hätte es nie für möglich gehalten, eines Tages im Mittelalter leben zu müssen. Sie war so hübsch, so sehr darauf bedacht, immer modisch gekleidet zu sein, gut frisiert, sorgfältig geschminkt, und dann musste sie sich plötzlich in den traditionellen weißen Schleier hüllen und ihre Wege außer Haus auf ein Minimumreduzieren. Sie war wie ein Löwe im Käfig. Sie fühlte sich reingelegt, sie saß in der Falle. Das war nicht das Leben, das Papa ihr in Aussicht gestellt hatte. Er hatte von Reisen zwischen Frankreich und Libyen gesprochen, davon, dass sie ihre Arbeit mal in dem einen, mal im anderen Land würde ausüben können ... Und dann sah sie sich innerhalb weniger Tage in ein Beduinenland versetzt. Sie verfiel in eine Depression. Da hat Papa alles getan, damit die Familie nach Bengasi umziehen konnte, in die zweitgrößte Stadt Libyens, die im Osten des Landes gelegen ist. Eine Provinzstadt zwar, die aber immer als rebellisch im Verhältnis zur Machtmetropole Tripolis angesehen wurde. Nach Paris, wohin er noch häufig reiste, konnte er sie nicht mitnehmen, doch zumindest würde sie in einer großen Stadt leben, könnte den Schleier ablegen und sogar, in einem von der Familie
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