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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
Autoren: Selma Lagerloef
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gestürzt. Sie hatten gebadet und sich geputzt, und nun lagen sie da und schlabberten halbverfaultes Entengrün
     in sich hinein.
    Der weiße Gänserich war so glücklich, einen kleinen Barsch zu erblicken. Er schnappte ihn schnell auf, schwamm damit ans Ufer
     und legte ihn vor den Jungen hin. Den sollst du zum Dank dafür haben, daß du mir ins Wasser hineinhalfst,« sagte er.
    Das war das erstemal im Laufe des ganzen Tages, daß der Junge ein freundliches Wort hörte. Er war so erfreut, daß er Lust
     hatte, dem Gänserich um den Hals zu fallen, aber er konnte sich doch nicht dazu entschließen. Und auch über das Geschenk freute
     er sich. Zuerst meinte er, es sei unmöglich, rohen Fisch zu essen, aber dann bekam er doch Lust, den Versuch zu machen.
    Er fühlte nach, ob er sein Dolchmesser mitbekommen hatte, und glücklicherweise hing es noch an dem Hosenknopf, aber es war
     freilich so klein geworden, daß es nicht größer war als ein Streichholz. Nun, er konnte es auf alle Fälle gebrauchen, um den
     Fisch auszunehmen und die Schuppen zu entfernen, und der Barsch war schnell verzehrt.
    Als der Junge gut gesättigt war, überkam ihn ein Gefühl der Scham, daß er etwas hatte essen können, was roh war. »Es scheint
     wirklich, als ob ich kein Mensch mehr bin, sondern ein richtiger Kobold,« dachte er bei sich.
    Die ganze Zeit, während der Junge aß, blieb der Gänserich neben ihm stehen, und als er den letzten Bissenheruntergeschluckt hatte, sagte er mit schwacher Stimme: »Wir haben uns ja mit einem wilden Gänsevolk eingelassen, das alle
     zahmen Vögel verachtet.« – »Das habe ich freilich auch schon bemerkt,« sagte der Junge. – »Es würde sehr ehrenvoll für mich
     sein, wenn ich ganz bis nach Lappland hinauf mit ihnen fliegen und ihnen zeigen könnte, daß eine zahme Gans doch auch zu etwas
     taugt.« – »Hm, ja,« sagte der Junge ein wenig zögernd, denn er glaubte nicht, daß der Gänserich das würde durchführen können,
     aber er wollte ihm nicht widersprechen. – »Aber ich glaube nicht, daß ich mich allein auf einer solchen Reise zurechtfinden
     kann,« sagte der Gänserich, »deshalb möchte ich gern wissen, ob du nicht mit mir kommen und mir helfen willst.«
    Der Junge hatte natürlich gar nichts anderes gedacht, als daß er so schnell wie möglich wieder nach Hause zurückkehren wollte,
     und er war so überrascht, daß er gar nicht wußte, was er antworten sollte. »Ich glaubte, wir wären gar keine guten Freunde,«
     sagte er. Aber das schien der Gänserich ganz vergessen zu haben. Das einzige, was er noch wußte, war, daß der Junge ihm vor
     einem Augenblick das Leben gerettet hatte.
    »Ich muß wohl zu Vater und Mutter zurück,« sagte der Junge. – »Ja, zum Herbst will ich dich zu ihnen zurückbringen,« entgegnete
     der Gänserich. »Ich will dich nicht verlassen, ehe ich dich daheim auf die Türschwelle niedergesetzt habe.«
    Der Junge dachte, daß es am Ende ganz gut sei,wenn er sich den Eltern eine Weile noch nicht zu zeigen brauchte. Der Vorschlag schien ihm gar nicht so übel, und er wollte
     gerade sagen, daß er darauf einginge, als er hinter sich einen großen Lärm hörte. Es waren die wilden Gänse, die alle auf
     einmal aus dem See heraufgekommen waren und das Wasser abschüttelten. Dann stellten sie sich in einer langen Reihe auf, die
     Führergans an der Spitze, und kamen auf die beiden zu.
    Als der weiße Gänserich jetzt die wilden Gänse näher betrachtete, war ihm gar nicht so recht geheuer. Er hatte geglaubt, daß
     sie mehr Ähnlichkeit mit den zahmen Gänsen hätten und daß er sich ihnen verwandter fühlen würde. Sie waren viel kleiner als
     er, und keine von ihnen war weiß, sie waren alle grau, mit einer braunen Schattierung. – Und vor ihren Augen wurde er beinahe
     bange. Die waren gelb und schienen, als wenn ein Feuer dahinter brenne. Der Gänserich hatte immer gelernt, daß es am hübschesten
     sei, langsam und watschelnd zu gehen, aber diese Gänse gingen nicht, sie liefen fast. Am unruhigsten aber wurde er, als er
     ihre Füße ansah. Sie waren groß, abgetreten und zerrissen. Man konnte sehen, daß sich die wilden Gänse niemals daran kehrten,
     wohin sie traten. Sie machten keine Umwege. Sonst waren sie sehr zierlich und wohlgepflegt, aber an ihren Füßen konnte man
     sehen, daß sie arme Leute aus der Wildnis waren.
    Der Gänserich hatte gerade noch Zeit, dem Jungen zuzuflüstern: »Antworte nun ordentlich, aber erzähle nicht, wer du
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