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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Autoren: Ernst Peter Fischer
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überall möglich. 1912 versöhnte Bohr Rutherfords Experimente mit den klassischen theoretischen Vorstellungen. Das Ergebnis zeigte sich – nach einem Aufstieg in schwierigem Gelände – als Quantenmechanik. Sie vereinte das beobachtete Objekt mit dem subjektiven Beobachter. Beide – Subjekt und Objekt – finden und kommen im Phänomen zusammen und bilden dabei ein neues Atom, ein übergeordnetes Unteilbares, eine untrennbar zusammengehörende Einheit. Mit seinen offenen Überlegungen zur Komplementarität kittete Bohr den Schnitt, den René Descartes vor mehr als dreihundert Jahren zwischen Subjekt und Objekt gezogen hatte, um die Menschen in die Lage zu versetzen, eine Welt zu beschreiben, ohne dass sie als handelnde Beobachter in ihr auftauchten. Bohr wollte sich nicht damit zufriedengeben, zwischen einer wirklich vorhandenen und gegebenen Sache (der res extensa ) und ihrer sinnlichen Wahrnehmung (der res cogitans ) zu unterscheiden und Geist und Materie ausschließlich als Gegensätze zu betrachten, die nebeneinanderstehen, aber nichts miteinander zu tun haben. Beide sind aber auch nicht ein und dasselbe. Sie stellen sich Bohr zufolge als komplementäre Gegebenheiten dar, die wir in uns vereinen.
    Auch der von Descartes proklamierte Gegensatz zwischen einer
inneren und einer äußeren Realität ist nur Illusion. Gerade die Quantenmechanik hat deutlich gemacht, dass es nur eine Wirklichkeit gibt, auch wenn sie wie eine Münze zwei Seiten hat. In jedem Experiment müssen sich handelnde Menschen entscheiden, welchen Aspekt dieser Realität sie beobachten wollen. Sie können sich frei entscheiden, aber entscheiden müssen sie sich, auch wenn sie daraufhin nicht mehr frei, sondern an die Folgen der Entscheidung gebunden sind. Diese Erkenntnis findet sich übrigens schon bei Goethe, wenn er im Faust das »Gesetz der Teufel und Gespenster« erklären lässt, das lautet: »Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.«
    Die Physik Bohrs und seiner Mitstreiter hat gezeigt, dass die Wirklichkeit voller Möglichkeiten ist, für die man sich entscheiden kann. Die Kopenhagener Deutung stellt dem tatsächlich Seienden das nur der Möglichkeit nach Seiende gegenüber und stellt fest, dass beide zusammengedacht und komplementär behandelt werden müssen. Diese Offenheit der Welt müssen wir ebenso hinnehmen wie viele andere Dinge in ihr. Bohr selbst hat diesen Aspekt seiner Denkfigur betont. Wir müssen das Quantum der Wirkung ebenso hinnehmen wie die Existenz des Lebens an sich und sollten nicht darauf hoffen, sie elementar ableiten oder erklären zu können.
    Auch unsere Gesellschaften müssen wir hinnehmen. Wenn wir sie und unsere Existenz verbessern wollen, können wir dies nicht einseitig tun – etwa mithilfe der Naturwissenschaften oder gegen sie. Es ist nur dann möglich, wenn wir komplementäre Standpunkte berücksichtigen, wenn wir also bereit bleiben, von anderen zu lernen. Bohr hat dies unermüdlich betont. Es sei nur möglich, »durch gegenseitiges Verständnis ein Mittel zur Hebung der menschlichen Kulturen zu schaffen«. Durch sein Leben und seine Forschungsleistung hat er die Wissenschaft in den Rang einer Kultur gehoben. Seine Haltung kann als Vorbild dienen.
    Alles, was wir über die Atome wissen, haben wir von Bohr gelernt. Leider haben wir aber nicht alles begriffen, was er von den Atomen verstanden und uns zu sagen versucht hat. Unsere Zukunft ist offen, das Atomzeitalter dauert an. Wir tun gut daran, von Niels Bohr auch weiterhin lernen zu wollen.

    Bild 11
    Spätes Porträt von Bohr

ANHANG

Chronik
    1885
Geburt in Kopenhagen (7. Oktober)
1900
Max Planck entdeckt das Quantum der Wirkung.
1903
Studium der Physik, Mathematik und Philosophie an der Kopenhagener Universität (seine Lehrer sind unter anderem Christian Christiansen, Niels Bjerrum und Harald Høffding)
1905
Albert Einstein veröffentlicht drei grundlegende Arbeiten, darunter die Relativitätstheorie. Gründung des studentischen Diskussionskreises Ekliptika in Kopenhagen
1907
Goldmedaille der Königlich-Dänischen Akademie der Wissenschaften für die Bestimmung der Oberflächenspannung einer Flüssigkeit; Planck begründet Einsteins Formel E = mc 2 .
1909
Bohr besteht sein Examen, Einstein formuliert die These von der Dualität des Lichts.
1911
Bohr verteidigt seine Doktorarbeit zur Elektronentheorie der Metalle (Mai); im September geht er nach Cambridge zu J. J. Thompson, im November macht er die Bekanntschaft von Ernest
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