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Nicodemus

Nicodemus

Titel: Nicodemus
Autoren: Blake Charlton
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verdammter«, murmelte Nicodemus mit weit aufgerissenen Augen, zu bestürzt und verängstigt, um sich zu regen.
    Eine Woge von Schuldgefühlen brach über ihn herein, und ihm wurde speiübel. Womöglich hatte er den Grundtext der Wasserspeierin für alle Zeiten ruiniert.
    Dann war das affenartige Geschöpf auf und davon, sprintete den Korridor hinab. An ihrem Schwanz hing noch immer das Zauberbuch. Als es nun über den Boden geschleift wurde, klappte es auf, und ganze Absätze in verschiedenen Zaubersprachen purzelten heraus. Sie krümmten sich wie lebendige Wesen, als sie von den geschundenen Seiten fielen. Zwei verpufften und hinterließen weiße Runenwölkchen, andere lösten sich nach und nach in Luft auf.
    »Warte mal!«, brüllte Nicodemus und lief hinter der falsch beschriebenen Wasserspeierin her. »Bleib hier!«
    Entweder hörte sie ihn nicht, oder es kümmerte sie nicht. Sie sprang auf ein Fenstersims und stürzte sich durch die Papierverkleidung.
    Nicodemus kam gerade noch, um zu sehen wie sie zehn Stockwerke tief in den mit Ulmen, Gras und Efeu bewachsenen Hof hinab fiel.
    Im Fallen lösten sich weitere Absätze aus dem Zauberbuch an ihrem Schwanz. Golden, grün, silbern und weiß leuchtende Worte flatterten hernieder, bildeten einen schillernden Sprachschweif.
    »Gütiger Himmel, bitte mach, dass Magister Shannon nichts davon erfährt«, betete Nicodemus. »Bitte!«
    Die Wasserspeierin schlug auf dem Boden auf und huschte von dannen, die herniederschwebenden Absätze aber begannen nun diesteinernen Türme, Bögen und Arkaden der umliegenden Gebäude zu erleuchten. Nicodemus machte kehrt und hastete dem Schreibfehler, den er in die Welt gesetzt hatte, hinterher.
    Doch dabei fiel ihm noch etwas anderes ins Auge. Was genau es war, konnte er nicht sagen, denn als er sich ein weiteres Mal danach umsah, war es verschwunden, und zurück blieb nur der vage Eindruck, dass er dort, auf einem der verzierten Strebepfeiler, eine Gestalt gesehen hatte – ganz in Weiß gekleidet und mit einer Kapuze über dem Kopf.

Kapitel 2
    Neben einen Schornstein gekauert beobachtete das Wesen, wie sich die Wasserspeierin über den Hof davonmachte.
    Die Geschwindigkeit, mit der sich das Geschöpf fortbewegte, ließ auf äußerst feuriges Magnus schließen, die unkontrollierten Bewegungen auf einen beschädigten Grundtext. Nur ein mächtiger Kakograph wäre imstande, solch ein Geschöpf hervorzubringen.
    »Mein Junge ist also in diesem Moment in der Bibliothek«, murmelte das Wesen mit einem Blick auf das Magazin. Es hatte seine Beute schon am Bibliotheksfenster erspäht, aber durch die sich aus der Wasserspeierin ergießende Flut an Paragraphen, hatte es nur die Silhouette des Jungen ausmachen können.
    Ein Knall zerriss die Nacht.
    Das Wesen drehte sich um und sah einen silbrigen Zauberspruch hinter einem Turm hervorschießen. Der kugelförmige Text war in Magnus verfasst und hätte somit eine durchschlagende Wirkung in der stofflichen Welt. Tatsächlich schienen die glühenden Sätze dazu bestimmt, einen Menschen in einen Nebel aus Blut und Knochenstaub zu verwandeln.
    Noch entscheidender jedoch war, dass der Zauber direkt auf den Kopf des Wesens zielte.
    Es hechtete nach rechts und ließ sich ein Schieferdach hinunterrollen. Krachend zerbarst etwas, es spürte die Schmerzen im Rücken wie Nadelstiche. Offenbar hatte der Magnuszauber den Schornstein in Schutt und Asche gelegt.
    Am Ende des Daches kam das Wesen zum Halt und begab sich in Lauerstellung. Der Strebebogen des benachbarten Gebäudes war bloß zehn Fuß entfernt. Es blickte sich um, doch vom Schutzzauber, der den Magnusangriff abgefeuert haben musste, war nichts zu sehen.
    Für seinen Körper bestand keine Gefahr; auf den Dächern waren die Schutzzauber langsam. Aber in den Innenhöfen und Gängen waren sie blitzschnell und könnten ihn daran hindern, sich den Jungen zu holen.
    »Ich muss die Beschützer loswerden«, grunzte das Wesen.
    Das weiße Gewand bauschte im Wind, als es in einem gewaltigen Satz zum Nachbarhaus hinübersprang und elegant auf dem Strebebogen landete. Vorsichtig lief es den Bogen hinauf zum nächsten Dach, das an einen der kreuz und quer durch Starhaven verlaufenden Aquädukte grenzte. Es erklomm den Aquädukt, und da er kein Wasser führte, folgte es dem Kanal nach Osten.
    Alle drei Monde standen am Himmel, strahlend hell in ihrem dritten Viertel; sie beleuchteten die unzähligen Starhavener Türme und Brücken aus drei unterschiedlichen Winkeln
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